Künftig ganzheitlicheres Gesamtergebnis / ESP u.a. als neue Kriterien
Die europäische Crashtest-Organisation EuroNCAP hat heute ein überarbeitetes Bewertungsschema
angekündigt. Details der lang erwarteten, ab 2009 geltenden Regularien bleiben noch
offen, die Richtung stimmt aber.
Während die Hersteller in den letzten Jahren das Sicherheitsniveau für die Insassen
jedenfalls nach den EuroNCAP-Regularien kontinuierlich verbessert haben und dies zum
Teil auch massiv bewerben, wird der weniger öffentlichkeitswirksame Fußgängerschutz, der
auch Auswirkungen auf das Frontdesign der Autos hat, weiterhin tendenziell vernachlässigt.
Dies ist einer der Gründe für das heute von EuroNCAP angekündigte neue Bewertungsschema.
Die Änderung erfolgt mutmaßlich außerdem vor dem Hintergrund teilweise einseitiger Werbung
und unklarer Berichterstattung mancher Medien zu Punktzahlen und deren Zusammensetzung.
Das Ergebnis im Front- und Seitencrash für die vorderen Passagiere kann nicht alleine der
Maßstab sein, wenn gleichzeitig etwa der Schutz von Kindern auf der Rückbank im Abseits
steht.
Details zum neuen Schema will die Organisation erst zum Jahresende veröffentlichen, stellt
aber bereits in Aussicht, das künftig die Sicherheit des jeweiligen Autos in der Gesamtheit
aus Erwachsenen- und Kindersicherheit sowie Fußgängerschutz bewertet und veröffentlicht wird.
In das Testergebnis wird - wie von Autokiste bereits im Sommer 2005 gefordert - auch das
Vorhandensein aktiver Sicherheitssysteme wie ESP eingehen, womit neben Gurtwarnern ein
zweites Kriterium abseits der Karosserie- und Airbag-Qualitäten eingeführt wird. Außerdem
werden Unfallfolgen wie Schleudertrauma - mithin u.a. die Sitz- und Kopfstützenqualität -
mit bewertet werden. Insgesamt sollen die Anforderungen steigen.
Die ersten Ergebnisse nach dem neuen System, das weiterhin mit einem Maximum von fünf
Sternen periert, werden im Februar 2009 vorliegen.
Kommentar:
Nach wie vor wird man das komplette Procedere standardisierter Crashtests in Frage stellen können.
Zweifellos sind heutige Modelle ganz exakt auf die EuroNCAP-Konstellation abgestimmt, die vor
Markteinführung Hunderte von Male am Computer simuliert und in der Realität getestet wird. Man
mag darüber nachdenken, ob und ggf. inwieweit unter dieser immer gleichen Konstellation das
Bemühen um allgemeine Sicherheit leidet, um die es in der Praxis ausschließlich geht.
Wie etwa schneidet Modell XY ab, wenn die Geschwindigkeit beim Test minimal erhöht oder die
Überdeckung leicht geändert wird? Wie sieht es eigentlich aus, wenn der Unfall-"Gegner" keine
definiert gestaltete und verformbare Barriere, sondern ein entgegenkommendes Auto, ein Lkw,
ein Baum ist? Optimieren auch Sicherheits-Vorreiter wie Mercedes oder Volvo nur noch in diese
Richtung oder wird hier noch das Ganze im Auge behalten? Wie sicher ist eigentlich ein Porsche?
Und ist eine heutige E-Klasse wirklich besser als ein W124 von 1988?
Auf diese und ähnliche Fragen werden Medien und Öffentlichkeit auch künftig keine Antworten
bekommen. Auch muss die nach wie vor ausschließlich englischsprachige EuroNCAP-Website als
verbraucherfeindlich bezeichnet werden. Immerhin werden bald endlich ESP, wie Autokiste es
bereits 2005 gefordert hat, und das Schleudertrauma-Risiko bewertet. Man mag sich dies auch
für Lichttechnik, Übersichtlichkeit, Rückfahrkameras und anderes mehr gewünscht haben, kann
es aber letztlich von einer Organisation wie EuroNCAP kaum erwarten.
Bei aller Kritik: Insgesamt gesehen war jeder einzelne Crashtest, jene ersten der Kollegen von
"auto motor und sport" erinnerungsgemäß in den 1980er-Jahren ebenso wie später die von ADAC und
EuroNCAP, ein Segen für die öffentliche Aufmerksamkeit - und damit für insgesamt eklatant
sicherere Autos und weniger Blutzoll auf den Straßen.