Die Verkehrsunfallstatistik sei 1953 eingeführt worden, haben wir schon mehrfach geschrieben – doch das bezieht
sich natürlich auf das Nachkriegs-Deutschland. Die ursprünglichen Aufzeichnungen wurden bereits vor genau 100 Jahren
aufgenommen. Ein Rückblick – mit interessanten Erkenntnissen.
Zwanzig Jahre nach der Patentierung des ersten Automobils sah sich die Regierung des Deutschen Reiches veranlasst,
die "Statistik der beim Betrieb von Kraftfahrzeugen vorkommenden schädigenden Ereignisse" ab 1. April 1906
einzuführen. Wenige Monate später, ab Januar 1907, wurde zum ersten Mal auch der Kraftfahrzeugbestand erhoben.
Zum Jubiläum hat das Statische Bundesamt noch einmal im Archiv gewühlt: Für den ersten Stichtag befanden sich demnach
27.026 zugelassene Kraftfahrzeuge im Bestand, davon 15.954 Krafträder, 957 Lastkraftwagen und 10.115 Autos. Im ersten
Berichtsjahr (1. Oktober 1906 bis 30. September 1907) wurden 4.864 Unfälle gezählt, bei denen 145 Personen getötet
und 2.419 verletzt wurden. 85 Prozent der Getöteten kamen bei Unfällen mit Pkw ums Leben, obwohl ihr Anteil am
Kraftfahrzeugbestand zu dieser Zeit nur bei 37 Prozent lag.
Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn das Verhältnis von Bestand zu Unfallopfern im Laufe der Jahre beim stark
zunehmenden Bestand konstant geblieben wäre. Verglichen mit den heutigen Zahlen war das Risiko, im Straßenverkehr
tödlich zu verunglücken, vor 100 Jahren 56-mal so hoch wie heute. Anders ausgedrückt: Seit 1906 ist der
Kraftfahrzeugbestand bis 2005 auf das 2083-fache gestiegen, die Zahl der Verkehrstoten aber "nur" auf das 37-fache.
Hohe Motorleistung schien damals die Fahrer besonders leicht zu überfordern. Von den 54 zugelassenen Kfz mit mehr
als 40 PS waren laut Statischem Bundesamt 48 im ersten Berichtsjahr in Unfälle verwickelt. Der Zusammenstoß mit einem
anderen Kraftfahrzeug war bei der damaligen Dichte an Fahrzeugen ein seltenes Ereignis: 196 derartige Kollisionen
(4% aller Unfälle) wurden im Zeitraum 1906/1907 gezählt, davon allein 152 in Berlin. Häufig waren Unfälle mit Fußgängern
oder Radfahrern (32%), mit Reitern und Geschirren (27%), Straßenbahnen (11%) oder eine Folge des Durchgehens von
Zugtieren (10%).
Für 1953 lässt sich das erste Bundesergebnis (nach dem heutigen Gebietsstand) errechnen: 12.631 Verkehrstote kamen
statistisch auf fast 4,8 Millionen Fahrzeuge. Beide Zahlen stiegen in den Folgejahren: 1970 wurde mit 21.332
Verkehrstoten der Höchststand gezählt, der Kraftfahrzeugbestand hatte auf 20,8 Millionen zugenommen. Seitdem ist
- mit wenigen Ausnahmejahren - die Zahl der Verkehrstoten permanent gesunken: Im vergangenen Jahr kamen 5.362
Menschen im Straßenverkehr ums Leben, 56,3 Millionen Fahrzeuge waren in Deutschland registriert.
Gründe für diese positive Entwicklung - bei absolut hohen Zahlen - gibt es viele. Sie reichen von höherer Verkehrsdichte
und besseren Straßen über Fortschritte im Rettungswesen und in der Unfallmedizin, schnelleren Notrufen u.a. dank der
Handy-Verbreitung bis nicht zuletzt zu den massiven Fortschritten in aktiver und passiver Sicherheit bei Pkw und Lkw.
Durch laufende Berichterstattung und Analyse dazu beigetragen zu haben, reklamieren zum 100jährigen Jubiläum auch die
Statistiker für sich. Wohl wahr.