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Dienstag, 19. März 2024
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In Detroit steht bereits eine seriennahe Version der Studie

Mut zur Lücke: Neues vom Mercedes GST

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Mercedes GST
DaimlerChrysler
Gerade einmal gut ein Jahrzehnt ist es her, als Mercedes mit zwei Pkw-Baureihen nebst zwei Coupés sowie SL und G-Modell auskam, und, nebenbei bemerkt, gutes Geld verdiente. Inzwischen haben die Stuttgarter fast so viele Auto-Varianten im Angebot wie Nokia neuerdings Handy-Modelle, doch das ist erst der Anfang: Alleine in den nächsten 24 Monaten darf sich der Auto-Interessierte auf diverse weitere neue Modelle einstellen, womit nicht nur der viersitzige Smart und die neuen Generationen von A- und ML-Klasse, sondern auch darauf basierende Derivate gemeint sind - vom CLS ganz zu schweigen. Mut zur Lücke also bei Mercedes, im Sinne von Mut zur Lückenfüllung auf Teufel komm raus - und leider bisweilen oft auch auf Kosten von Qualität, Image und anderen Werten, die Autos mit dem Stern einmal auszeichneten, darf hinzugefügt werden.

Heute geht es an dieser Stelle um die "Vision Grand Sports Tourer", von der wir gelegentlich schon berichtet hatten und deren Serienproduktion ab Anfang 2005 in den USA beschlossene Sache ist. Die klassische Stufenheck-Limousine ist out - jedenfalls behaupten das die Marktstrategen bei Mercedes und auch anderen Autobauern, ohne je wirklich einen Beweis dafür geliefert zu haben. Diese klassische Autoform ist bisher im automobilen Oberhaus (und nur noch dort) das einzige, das der solvente Kunde kaufen kann: Ob Jaguar, 7er-BMW, A8, Phaeton oder eben Mercedes S-Klasse, sie alle sind nach dem alten, bewährten Konzept gestaltet. Zum Bau eines Kombis fehlt es den Herstellern trotz des großen Erfolgs dieser Karosserieform selbst in der Oberen Mittelklasse jedenfalls bisher an Mut - mehr als Studien etwa eines A8 Kombi hat man bisher nicht zu Gesicht bekommen.

Was hat das alles mit dem GST zu tun? Nun, der ist sogar nochmals größer als eine aktuelle S-Klasse, und wird auch preislich in deren Regionen angesiedelt sein. Nach der ersten Studie vom Januar 2003 und einer schon realistischeren Zeichnung im September (Autokiste berichtete) steht nun auf der Detroit Motor Show ein weitgehend seriennahes Exemplar des GST. Nach dem Willen seiner Väter handelt es sich dabei um ein Fahrzeug, das "Limousine, Van, Stationwagen und SUV in einem" ist, quasi die eierlegende Wollmichsau. Bei näherer Betrachtung wird klar: Der GST ist eine XXL-Ausgabe der nächsten M-Klasse, ebenfalls mit Allradantrieb ausgestattet und hier mit insgesamt drei Sitzreihen versehen. Über die Crashsicherheit der Hinterbänkler wird noch zu reden sein, wenn weitere Details bekannt werden. Drei Sitzreihen bedeutet im Falle des GST aber nur sechs Personen, schließlich soll es Oberklasse-like zugehen, was Platz und Komfort anbelangt. Zwischen den Sitzen gibt es Mittelkonsolen mit zusätzlichen Staufächern und den inzwischen auch hierzulande unerlässlichen Cup- und Flaschenhaltern. Wer die vier Sitze umklappt, darf bis zu 2.030 Liter Gepäck einladen, nochmals mehr als im schon großen T-Modell der E-Klasse.

Die Linienführung des GST, so schwärmt Mercedes, biete ein "dynamisches Erscheinungsbild" und wecke durch die bogenförmige Dachlinie "Coupé-Assoziationen". So beeindrucke der GST trotz seiner Größe durch "sportliche Eleganz", heißt es weiter, und schon wird wieder klar: Auch bei Mercedes ist ein Auto heutzutage nur dann gut, wenn es sportlich aussieht oder man das jedenfalls behaupten kann. Den ersten Bildern nach zu urteilen, ist es den Designern tatsächlich ganz gut gelungen, die stattlichen Ausmaße zu kaschieren, letztlich aber ist ein Auto entstanden, das nicht wirklich als elegant durchgeht und dessen Design sicher nicht seine Hauptstärke ist. Wären nicht der inzwischen für viele Baureihen typische kleine Mercedes-Grill und die Spiegelblinker vorhanden, man würde kaum erkennen, dass es ein Mercedes ist. Auch die große gebogene Sicke an den Seiten sieht mehr nach einer Verlegenheitslösung aus - und weckt Assoziationen weniger an ein Coupé denn eher an den Mercedes Viano - keine Designreferenz.

Sicherlich angenehm für die Passagiere ist der dank eines großen Glasdaches sehr helle Innenraum. Wer sich am Himmel-Panorama satt gesehen hat, kann dank separater CD- und DVD-Spieler in den beiden hinteren Sitzreihen auf eine andere Form der Entspannung zurückgreifen. Die Farbbildschirme sind in die Rückseiten der vorderen Kopfstützen und in die hintere Mittelkonsole integriert, der Ton kommt aus Funk-Kopfhörern: Eine komische Vorstellung, wie sechs Personen schweigend im rollenden Kino durch die Gegend fahren.

Der Fahrer darf naturgemäß nur auf die Straße gucken, und sich am Antrieb erfreuen. Hier geht Mercedes tatsächlich neue Wege - unter der Haube sitzen nämlich gleich zwei Motoren: Der eine, ein rund 68 PS starker Elektromotor, kommt beim Anfahren, beim Einparken, bei Stop-and-go-Verkehr oder bei langsamer Fahrt zum Einsatz und ermöglicht ein, jedenfalls bezogen auf den aktuellen Ort, emissionsfreies Fahren. Ist mehr Leistung gefordert, kommt die zweite Maschine zum Einsatz: Es ist der bekannte Achtzylinder aus der S-Klasse, und zwar die Diesel-Version mit 250 PS. Wer beide Motoren gleichzeitig fordert, hat also satte 318 PS und noch extremere 860 Newtonmeter Drehmoment zur Verfügung, die das große Auto nach ersten Angaben aus Stuttgart innerhalb von 6,6 Sekunden auf Tempo 100 und danach standesgemäß bis auf die abgeregelte Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h beschleunigen.

Wer nun einen Strudel im Tank erwartet, darf aufatmen: Mercedes spricht von einem Durchschnittsverbrauch nach amerikanischer Messung von 7,9 Litern Diesel; mit künftigen Motorengenerationen seien sogar Werte um 7,2 Liter erreichbar. Die Umschaltung zwischen den beiden Motoren übernimmt eine Elektronik; beim Bremsen arbeitet der Elektromotor als Generator und erzeugt Strom, der in die Antriebsbatterie gespeist wird und sie nachlädt.

Damit die Kraft auch ordentlich auf den Asphalt übertragen werden kann, trägt die Studie imposante Räder im 21-Zoll-Format, in der Serie dürfte es wohl etwas kleiner zugehen. Dazu gibt es nahezu alle technischen Schmankerl, die Mercedes derzeit zu bieten hat, von der Luftfederung AIRMATIC über COMAND-System bis zur Siebengang-Automatik. Diese wird, und auch das ist neu, nicht mehr über einen Wählhebel auf dem Getriebetunnel bedient, sondern über einen kleinen Lenkstockhebel und Tasten auf dem Lenkrad - schöne Grüße an BMW. Auch der sonstige Innenraum wird sich weniger am gewachsenen Mercedes-Design als an modischen Trends orientieren. Vertikale Aluminiumprofile an der Mittelkonsole und viel Holz sollen die Optik prägen, verspricht Mercedes.

Die Serienentwicklung des GST läuft derzeit auf Hochtouren. Anfang 2005 darf mit der Markteinführung - dann vermutlich als "R-Klasse" - gerechnet werden. Aber das ist, wie gesagt, noch nicht alles. "Auf Basis dieses Konzepts sehen wir durchaus das Potenzial für eine neue Mercedes-Modellfamilie", so Mercedes-Chef Professor Jürgen Hubbert vieldeutig. Im Alphabet sind ja noch einige Buchstaben frei.
text  Hanno S. Ritter
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