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Freitag, 29. März 2024
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Über ein Auto, das die Welt nicht braucht

Smart: Absurde Forfour-Studie für junge Mütter

Siehe Bildunterschrift
Für das Foto des Mütter- Smart
Autos hat Smart einen Mann verpflichtet...
Smart ist arm dran: Mit der IAA steht die wichtigste Auto-Messe vor der Tür, doch die angeschlagene DaimlerChrysler-Tochter hat keine echten Neuheiten zu präsentieren. Also hat man sich eine Studie ausgedacht – und die ist erst recht arm.
Wenn nicht die Kollegen von "Spiegel Online" für absurde News aus dem automobilen Umfeld schon die Rubrik "Totalschaden" erfunden hätten, müsste man es jetzt unbedingt tun. Denn Smart hat einen jener Versuche unternommen, die noch immer schief gegangen sind - ein Auto zu kreieren nämlich, das auf Frauen zugeschnitten ist, in diesem Fall auf junge Mütter mit Kind(ern).

Als Basis muss natürlich der Forfour herhalten, als Partner haben die Böblinger die Firma, pardon, das "Trendlabel" Bellybutton (BB) gewonnen, die hierzulande vor allem deswegen bekannt ist, weil eine ihrer beiden Gründerinnen die Frau des Schauspielers Til Schweiger ist und deswegen gerne mal in TV-Talkshows eingeladen wird (und auch tatsächlich hingeht). Außerdem trifft es sich gut, dass sich BB der Unternehmens-CI zufolge komplett in Kleinbuchstaben schreibt - genauso hip wie auch "smart" und "forfour", und nicht ganz so falsch wie das "Babies" auf der BB-Website.

Doch zurück zum Auto: Es soll, so verspricht Smart, durch "intelligente Raumnutzung sowie absolute Familien- und Alltagstauglichkeit" bestechen, was wohl schon aufgrund der Größe zweifelhaft ist. Die einzigen vielleicht als solche zu bezeichnende Innovationen sind ein Buggy, der sich besonders platzsparend zusammenfalten lässt, und ein in offenbar beide Vordersitze integrierter Wickeltisch. Bei letzterem allerdings ging der Ideenreichtum dann doch nicht so weit, die Sache zumindest halbwegs praxistauglich umzusetzen: Eine zugehörige Heizung für das Baby fehlt ebenso wie ein geruchsfester Mülleimer für die Windeln und eine spezielle Beleuchtung.

Stattdessen gibt es zusätzliche Staufächer, arretierbare Transportboxen und ein nicht näher konkretisiertes, veränderbares Sitzbankkonzept. Außerdem spendiert Smart einen doppelten Rückspiegel zum Beobachten der Kinder (praktisch, wenn auch in punkto Sicherheit zweifelhaft und sowieso keine neue Erfindung), ausklappbare Tische, damit die Kleinen malen und spielen können, sowie ein Soundsystem, das die Musik in den Fond überträgt. Warum? Smart erklärt, dann könne die Mutter ungestört über die Freisprechanlage telefonieren - eine in mehrfacher Hinsicht absurde Argumentation.

Doch das ist noch nicht alles: Der "bellybutton smart forfour", so der offizielle Name, kümmert sich auch um "Wohlbefinden, Ausgeglichenheit und Entspannung" für Mama und Kinder während der Fahrt. Kern dieses Konzepts ist, wir zitieren wörtlich, ein "individuell designter Duft-Buddha in Kombination mit bellybuttons 'Liebe in der Box' Aromatherapiekonzept". Kein Witz, kein Aprilscherz.

Ergänzt wird die Studie um "intelligente Produkte rund um das Leben mit Kindern", wobei Smart fünf Beispiele gibt, drei davon in Englisch: Picknickdecke, CoffeeCup, Shopping Bag, Keyholder und Kulturtasche gehören zum sogenannten "bellybutton family mobil" Konzept, und dass hier vor dem sowieso sinnfalschen Substantiv der Bindestrich fehlt, haben wir ausnahmsweise ebenfalls den Smart-PR-Leuten abgeschaut.

Das Design der Studie ist ebenfalls gegenüber der Serie modifiziert: Mit getönten Scheiben, 17 Zoll-Rädern, speziellen Außenfarben und auffälligen roten BB-Aufklebern an B-Säule und Heckklappe, die Smart tatsächlich als "geschmackvoll" tituliert, gibt sich das "Traumauto für Mütter und Kinder" äußerlich zu erkennen. Im Interieur hat man hie und da etwas rotes Leder appliziert, doch ISOFIX-Kindersitze werden nur "angeboten", was in der PR-Sprache so viel wie aufpreispflichtiges Extra bedeutet.

Ansonsten? Nun, weil das Auto eben gerade nicht innovativ ist, müssen einerseits Floskeln reichen: So fabulieren die beiden Unternehmen respektive ihre Vertreter etwa von "Features, die das Auto so richtig zum Familienmobil machen", von Müttern, die "Wert auf Style und Emotion" legen, auch von einem Auto, dass sich "trotz der Familientauglichkeit in seinen Dimensionen an die Erfordernisse des städtischen Verkehrs anpasst und dabei stylish aussieht", vom "höchstmöglichen Standard an Familienkompatibilität", gar vom "revolutionären Konzept für urbane Mobilität" und so weiter und so fort.

Andererseits sind Klischees gefordert, wie etwa jenes, das BB-Geschäftsführerin Astrid Schulte umschreibt: "Wer als Mutter in der Stadt lebt, sieht sich mit engen Straßen, kleinen Parkplätzen und dem täglichen Getümmel konfrontiert". Frau Schulte indes scheint keine junge Mutter zu sein, sonst wüsste sie, was in der anvisierten Zielgruppe, die gerne in Autos vom Schlage eines Golf IV, Touran, A4 Kombi, Peugeot 206 oder A-Klasse unterwegs ist, wirklich zählt.

Bevor uns die Tränen kommen, wollen wir schließen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass das Auto seine "Weltpremiere" auf der IAA feiern wird, wo denn auch Dana Schweiger (deren vier Kinder nicht gemeinsam in das Auto passen) persönlich anwesend sein soll, was das absurde Konzept dann mutmaßlich auch in Nicht-Auto-Medien und Fernsehsendungen bringen wird. Darum wohl geht es vor allem, und nach der Messe ist zu hoffen, dass die Studie schleunigst dort landet, wo die meisten enden: im Keller.

Vielleicht steht es um Smart ja noch schlimmer als angenommen. - Ach ja, die wirklichen Smart-Errungenschaften, für die der Autobauer weit weniger Worte findet, finden Sie beispielhaft unter dem nachfolgenden Link.

Nachtrag, 10.08.: Nun ist der Bauchnabel-Smart auch bei Spiegel Online zum "Totalschaden" geworden. Alle andere Online-Medien haben, soweit ersichtlich, das Auto kritiklos vorgestellt.
text  Hanno S. Ritter
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