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Neu ab Herbst: Mercedes S-Klasse |
DaimlerChrysler |
Die Mercedes S-Klasse, das darf man wohl sagen, ist unter Berücksichtigung ihrer Historie die beste Großserien-Limousine
der Welt. Deswegen ist es immer besonders spannend, wenn die Stuttgarter nach frühestens sieben Jahren die Hüllen des
jeweiligen Nachfolgers fallen lassen. Heute ist es wieder soweit – die fünfte Generation rollt an.
Während die Vor-Vorgänger-Baureihe W140 wegen ihrer schieren Größe und deren etwas uncharmanter Verpackung nie auf
viel Gegenliebe gestoßen war, fanden dem Vernehmen nach einige Kunden das jetzt auslaufende Modell schon wieder zu
leichtfüßig und elegant für ein Oberklasse-Auto.
Die neue Generation versucht also den Mittelweg einzuschlagen - größer und prägnanter, aber nicht zu protzig im Auftreten.
Größer bedeutet zunächst ein Längenwachstum um gut drei bzw. vier (Langversion) Zentimeter auf jetzt knapp 5,08 bzw.
gut 5,20 Meter, was in Anbetracht der Vergleichswerte bei anderen Herstellern als äußerst moderat gelten darf. Wie schon
zuletzt bei anderen Baureihen haben die Stuttgarter dabei auf einen besonders großen Radstand geachtet - er wächst
überproportional um sieben bzw. acht Zentimeter (knapp 3,04 bzw. 3,17 Meter). Zudem ist die Karosserie 16 Millimeter
breiter und 29 Millimeter höher als bisher.
Vom Größenwachstum profitieren dabei nicht zuletzt die Passagiere. So wachsen die Breitenmaße des Interieurs wie
Schulterraum und Ellenbogenbreite um bis zu vier Zentimeter, die Kopffreiheit um einen halben Zentimeter. In den
Langversionen gibt es im Fond einen größeren Sitzplatzabstand und mehr Kniefreiheit (jeweils etwa plus einen Zentimeter).
Das Ladevolumen des Kofferraums steigt um 60 auf 560 Liter - viel, aber unspektakulär, solange ein VW Passat das
Gleiche schafft.
Optische Kennzeichen der neuen S-Klasse - die übrigens intern als "W221" auftritt - sind unter anderem kleinere und
eckigere Scheinwerfer mit außenliegenden, vertikal angeordneten Blinkern in LED-Technik, weit ausgestellte Radhäuser,
deren äußerer Radius größer ist als der der Räder, ein aufgesetzter Kofferraumdeckel à la Maybach oder Siebener-BMW und
völlig neue Heckleuchten, ferner neu modellierte Außenspiegel und eine Chromleiste am Schweller, während die Schutzleisten
an den Türen weggefallen sind. Die Fenster sind weniger hoch und laufen hinten spitzer zu; die Türoberkanten sind nicht
mehr bis ins Dach geführt, die A-Säule also nicht mehr vom Türrahmen kaschiert.
Außerdem fallen die leicht schräg angeordneten Türgriffe auf und die jetzt zweigeteilten Lufteinlässe in der Motorhaube.
Die Nebelleuchten sitzen künftig nicht mehr im Hauptscheinwerfer, sondern in der Frontschürze. Erstmals in der S-Klasse,
allerdings nur in der langen Version, bietet Mercedes auch ein großes Panorama-Glasdach an. Auch insoweit grüßt der
Maybach.
Völlig neugestaltet haben die Mercedes-Mannen auch das Interieur, insbesondere Armaturenbrett und Mittelkonsole.
Auffälligste Änderung ist der jetzt weit oben neben der im bisherigen Stil gehaltenen Instrumentierung platzierte
COMAND-Bildschirm. Das System beinhaltet Radio, CD-/DVD-Spieler und einen Anschluss für Computer-Speicherkarten,
die Mercedes etwas missverständlich als PCMCIA-Karten bezeichnet. Navigationsfunktionen kosten weiterhin Aufpreis.
Die Navi-Daten sind jetzt erstmals auf Festplatte gespeichert, was eine schnellere Routenberechnung ermöglichen soll.
Der Hauptunterschied besteht bei COMAND aber darin, dass jetzt auch verschiedene Fahrzeug-Funktionen, für die bisher
Einzelschalter zuständig waren, in das System integriert sind. Gesteuert wird das alles über einen zentral auf dem
Mitteltunnel platzierten Dreh-/Drücksteller à la BMW oder Audi. "COMAND"-Controller nennen die Mercedes-Leute dieses
Rad, und beeilen sich angesichts der nicht abebbenden Kritik am BMW-iDrive zu betonen, das Bedienkonzept basiere auf
"umfangreichen Studien der Ergonomie und Wahrnehmungspsychologie" und berücksichtige die Ergebnisse von
Akzeptanzuntersuchungen mit Mercedes-Kunden in allen Teilen der Erde.
Das wesentliche Merkmal des Bedienkonzepts ist der schnelle Zugriff auf besonders häufig genutzte Funktionen. Daher ist
das System gezielt redundant gestaltet: Je nach seiner Gewohnheit steuert der Autofahrer zum Beispiel Autoradio,
TV-Empfänger, CD-/DVD-Wechsler, Telefon und Navigation entweder über konventionelle Schalter, die neuen, runden
Fünf-Wege-Tasten im Lenkrad oder mithilfe von COMAND. Die Direktwahltasten in der Mittelkonsole sollen sich auch blind
bedienen lassen.
Auch die Steuerung der serienmäßigen Klima-Automatik ist auf zwei verschiedenen Wegen möglich: per COMAND einerseits
oder mittels einer Schalterleiste unterhalb der Lüftungsdüsen. Ein eigenes Display hat die Klimaanlage nicht mehr -
dafür ist wiederum COMAND zuständig, für das Mercedes eine verbesserte Darstellungsqualität des Farbmonitors verspricht.
Wie bereits in M- und R-Klasse gibt es keinen konventionellen Wählhebel für die serienmäßige Automatik mehr; an seine
Stelle tritt ein Lenkstockhebel rechts am Lenkrad. Die Bedienelemente für Sitzverstellung, -lüftung und künftig auch
Sitzheizung bleiben in den Türen. Dort sitzen jetzt auch die Schalter für die Zentralverriegelung. Neu ist außerdem eine
Analog-Uhr, zentral auf der Mittelkonsole angeordnet - sicher die bestmögliche Lösung.
Apropos Sitze: Elektrisch einstellbare 16-Wege-Vordersitze mit Lordosenstützen gehören zur Serienausstattung. Darüber
hinaus stehen auf Wunsch Komfortsitze mit Sitzheizung und Sitzbelüftung, Multikontursitze (vorn und hinten) und
fahrdynamische Multikontursitze (vorn) zur Auswahl, die ihre Kissen- und Lehnenkontur der jeweiligen Fahrsituation
anpassen und so stets optimale Seitenführung bieten. Außerdem ist der fahrdynamische Multikontursitz mit separaten
Luftkammern im Lehnenbereich ausgestattet, die sich auf Tastendruck nacheinander füllen und leeren. Dadurch wird die
Rückenmuskulatur massiert. Intensität und Geschwindigkeit der Massage-Funktion lassen sich mittels COMAND-System in
vier Stufen einstellen.
Drei der vier Motoren, die Mercedes in das neue Flaggschiff einbaut, sind neu oder recht neu. Zur Marktpremiere wird
zunächst der aus vielen anderen Baureihen bekannte 3,5 Liter-Sechszylinder als Basis zur Verfügung stehen, der
272 PS leistet. Neu dagegen ist der Achtzylinder im S 500, der jetzt 388 statt 306 PS entwickelt und ein Drehmomentmaximum
von 530 statt 460 Newtonmetern anbietet. 5,4 Sekunden (bisher: 6,3) sollen so ausreichen, das schwere Auto auf Tempo 100
zu beschleunigen.
Ab dem ersten Quartal 2006 folgen das vorläufige Topmodell S 600, dessen Zwölfzylinder dann 517 PS (bisher: 500) und
830 (800) Newtonmeter ab 1.900 Touren leisten wird, und schließlich der Diesel S 320 CDI, der in der S-Klasse 231 statt 224
PS leisten wird und ein Drehmoment von 540 Newtonmetern stemmt. Bis auf den V12, der wegen des hohen Drehmoments mit der
Fünfgang-Automatik auskommen muss, erhalten alle Versionen die Siebengangautomatik. Der neue V8-Diesel, eine AMG-Variante,
Allradmodelle und mutmaßlich ein schwächere Basis werden folgen.
Verbrauchsangaben liegen in allen Fällen noch nicht vor - was durchaus so gedeutet werden darf, dass hier im Vergleich
zum Vorgänger jedenfalls Fortschritte nicht zu erwarten sind. Dies gilt trotz der weiter in allen Versionen serienmäßigen
Luftfederung "AIRMATIC", die ab Tempo 120 und/oder im Sportprogramm die Karosserie automatisch um bis zu zwei Zentimeter
abgesenkt. Das aktive Fahrwerk "Active Body Control" ist als Extra verfügbar (Serie im 600er); Mercedes verspricht
insoweit eine weitere Perfektion.
Auch die Bremsanlage muss nun mit einem "hippen" Begriff leben, der da "ADAPTIVE BRAKE" lautet und auf Zusatzfunktionen
wie einen Berganfahrassistenten hinweist - bei Automatik-Autos ähnlich überflüssig wie eine Klimaanlage am Strand. Die
Feststellbremse funktioniert erwartungsgemäß künftig elektronisch - die entsprechende Taste sitzt wie beim neuen VW
Passat links neben dem Lichtschalter.
Zuletzt ein Blick auf die technischen Innovationen, die bei der S-Klasse seit Jahrzehnten Inbegriff für automobilen
Fortschritt und Sicherheit sind, und später meist auch anderen Fahrzeugklassen zugute kamen: Ob ABS, Airbags oder ESP
- Premiere feierten all diese Systeme in der Stuttgarter Oberklasse. Im neuen Modell sind es wieder ein Dutzend
Funktionen, die jedenfalls zum Teil Geschichte schreiben dürften:
Neu sind etwa ein Bremsassistent "Plus". Das System erfasst vorausfahrende Autos mittels Radar und warnt bei geringem
Abstand oder bei zu schneller Annäherung an das vorausfahrende Auto. Droht ein Zusammenstoß, berechnet die Technik
blitzschnell die optimale Bremskraftunterstützung, die sofort zur Verfügung steht - selbst wenn der Autofahrer zu
leicht auf das Bremspedal tritt. So lässt sich die Zahl der Auffahrunfälle deutlich verringern. Einen aktiven, also
vollautomatischen Bremseingriff gibt es insoweit zunächst aber nicht.
Der neue Brems-Assistent ist in Kombination mit dem ebenfalls weiterentwickelten Abstandsregel-Tempomaten "DISTRONIC PLUS"
lieferbar. Dieses radargestützte System arbeitet jetzt im Geschwindigkeitsbereich von null bis 200 km/h und hält
die S-Klasse im richtigen und konstanten Abstand zum vorausfahrenden Auto, bremst die Limousine automatisch bis zum
Stillstand ab und beschleunigt sie auf die gewünschte Geschwindigkeit, wenn der Verkehr wieder rollt.
Das vorausschauende Sicherheitssystem "PRE-SAFE" wird um zwei neue Funktionen ergänzt: bei einem drohenden Unfall werden
künftig nicht nur die Sicherheitsgurte gestrafft, der Beifahrersitz in eine optimale Position gebracht und das Schiebedach
geschlossen, sondern außerdem Luftpolster in den (optionalen) Multikontursitzen aufgeblasen, die sowohl Fahrer und
Beifahrer als auch die Fondpassagiere umschließen und abstützen. Ferner werden künftig auch die Seitenscheiben
automatisch geschlossen.
Außerdem erhält die neue S-Klasse, ebenfalls gegen Aufpreis, eine Art von Adlerauge: Der erstmals in der Serie erhältliche
"Nachtsicht-Assistent" soll das Unfallrisiko bei Dunkelheit verringern. Das System basiert auf dem Infrarotlicht, das für
das menschliche Auge unsichtbar ist und deshalb entgegenkommende Autofahrer nicht blendet. Zwei Infrarot-Scheinwerfer
beleuchten die Fahrbahn und vergrößern die Sichtweite des Fahrers bei eingeschaltetem Abblendlicht auf über 150 Meter.
So macht der Nachtsicht-Assistent Fußgänger, Radfahrer, parkende Autos oder andere Hindernisse weitaus früher sichtbar.
Eine Infrarotkamera an der Innenseite der Frontscheibe nimmt das reflektierte Bild der Straßenszene auf und zeigt es auf
dem Display des Kombi-Instruments an.
Neu sind außerdem ein weiterentwickelter "Park-Assistent", der dank Radar- statt Ultraschalltechnik nun noch genauer
und weiträumiger arbeiten soll, eine Rückfahrkamera sowie schließlich das bei starken Verzögerungen schnell blinkende
Bremslicht.
Premiere feiert die fünfte Generation der S-Klasse auf der IAA im September. Die Markteinführung dürfte noch im
Herbst erfolgen. Bestellt werden kann schon ab Ende der Woche (24.06.) - zu Preisen, die fast so stark gestiegen
sind wie die PS-Zahlen: Der S 350 als vorläufige Basis kostet ab 70.760 Euro (Langversion: 78.416 Euro), für den S
500 sind 89.668 (95.236) Euro auf den Tisch des Hauses zu blättern. Bisher waren der 350er ab knapp 66.000 und der
500er für rund 83.700 Euro zu haben.
Auch wenn natürlich alles Wichtige zur Serienausstattung gehört - kaum einer dürfte gerade eine S-Klasse "nackt" kaufen.
Mit Metalliclack, Schiebedach, Navigation, Sitzheizung und anderen "nice to have"-Dingen kommen dann locker noch einmal 20.000 Euro an Extras zusammen. Für reichlich Gesprächsstoff wird die neue Limousine sowieso noch sorgen.