Digitalcockpit, teilautonomes Fahren und Kamera-Spiegel in Serie
Neuer Mercedes Actros: Viel Neues vom Lkw-Flaggschiff
Im Vorfeld der IAA Nutzfahrzeuge Ende des Monats hat Daimler am Mittwoch Abend in Berlin den überarbeiteten Mercedes-Benz Actros
präsentiert. Das Lkw-Flaggschiff der Marke wird sicherer und sparsamer. Bei einem Detail sichert sich der Actros sogar die
Vorreiterrolle im gesamten Konzern – durch Weglassen.
Daimler
Der Mercedes Actros trägt
künftig keine konventionellen Außenspiegel mehr
Vor einem Dutzend Jahren verschickte Mercedes Pressefotos einer
E-Klasse ohne Außenspiegel. Irgendetwas
in der Bearbeitung der Bilder und der Kontrolle war offenbar schiefgegangen. Daran muss man denken, wenn man die Bilder des neuen Actros erstmals öffnet:
Da fehlen doch glatt die Außenspiegel. Dieses Mal liegt es aber nicht an der Foto-, sondern an der Entwicklungsabteilung.
Der Actros fährt künftig nämlich ohne konventionelle Außenspiegel vor, jedenfalls in bestimmten Fahrerhaus-Varianten - serienmäßig als erster
Mercedes konzernweit und nach dem
VW XL1 als zweites Serienauto überhaupt, wobei es der VW bekanntlich leider
nur zu einer Kleinserie brachte. An die Stelle der mächtigen Spiegel treten filigrane Arme am oberen Türrahmen, die den seitlichen Bereich per Kamera
scannen und ihr Bild auf 15-Zoll-Monitore in den A-Säulen übertragen. Diese Arme tragen nach vorne hin ein Positionslicht, was dem Actros bei Dunkelheit
eine neue Breite verleiht. Die sogenannte Mirror Cam bietet aber nicht nur aerodynamische Vorteile und sichert dem Truck öffentliche Aufmerksamkeit,
sondern auch funktionale.
Dazu gehören der bessere Durchblick nach schräg vorn, außerdem individualisierbare Darstellungen, vor allem aber die Schwenkfunktion, die es dem
Fahrer ermöglicht, den gesamten Trailer bei Kurvenfahrt auf der Kurveninnenseite zu beobachten. Distanzlinien tragen zu einer besseren Einschätzung
des rückwärtigen Verkehrs bei. Außerdem kann eine zusätzliche individuell einstellbare Linie beispielsweise das Auflieger-Ende anzeigen und so das
Rangieren vereinfachen. Bei beginnender Dunkelheit wechselt das System in einen Nachtsicht-Modus, den der Fahrer auch bei ausgeschaltetem
Motor kurzzeitig aktivieren kann, etwa um das Fahrzeugumfeld zu kontrollieren - ein nicht unwesentlicher Sicherheitsaspekt bei nächtlichen Parkphasen.
Die rechts oben am Fahrerhaus vorgeschriebenen Rampen- und Vorfeldspiegel sind konventionell umgesetzt, was die cleane neue Optik beeinträchtigt.
Dass der nächste Actros auch diese dann miniaturisiert und digitalisiert haben wird, ist absehbar.
Die wichtigste Neuerung der Actros-Modernisierung ist aber der Active Drive Assist. Mit ihm bringt Mercedes-Benz das teilautomatisierte Fahren
erstmals in einem Lkw in Serie. Der neue Active Drive Assist kann selbständig bremsen, Gas geben und lenken - und zwar in allen Geschwindigkeitsbereichen.
Neu sind die aktive Querführung und die Verbindung von Längs- und Querführung durch die Fusion von Radar- und Kamerainformationen.
Dazu kommt der verbesserte Active Brake Assist der nunmehr fünften Generation. Der Notbremsassistent unterstützt den Fahrer, wenn ein Auffahrunfall
oder eine Kollision mit einer querenden, entgegenkommenden oder in der eigenen Spur laufenden Person droht. Neu ist, dass jetzt im Bedarfsfall eine
automatische Voll- statt Teilbremsung ausgelöst und das System, zusätzlich zum radar auch mit Kameratechnik arbeitend, bis 50 statt bisher 30 km/h
aktiv ist.
Zur Überarbeitung gehört auch eine Auffrischung des Cockpits. Herzstück sind die beiden serienmäßigen Farbdisplays mit je 10 Zoll Bildschirmdiagonale.
Eines ersetzt das klassische Kombiinstrument mit Tacho, Drehzahlmesser und Tankanzeige hinter dem Lenkrad, mit dem zweiten auf der Mittelkonsole
- als Touchscreen ausgeführt - lassen sich alle weiteren Funktionen steuern. Wichtige Funktionen wie Licht, Heizung, Klima oder Telefonie sind durch
Direkttasten wählbar. Zudem kann sich der Fahrer den Fahrzeugzustand, wie beispielsweise Reifendruck oder Achslast,
visualisieren lassen. Die Bedienung erfolgt auch über kleine Touchpads am Lenkrad - ganz wie in der S-Klasse. Optional liefert Mercedes auch ein zwölf
Zoll großes Hauptdisplay, das überdies mit zahlreichen zusätzlichen Online- und Remotefunktionen sowie mit Navigationssystem versehen ist.
Zu den weiteren Neuerungen gehören ein Schlüssel mit Fernbedienung, ein Start-Knopf mit Keyless-Funktion, eine neue Fahrerhaus- und Ambientebeleuchtung,
Fernlichtautomatik und eine elektronische Feststellbremse, nicht aber Voll-LED-Scheinwerfer. Unglaublich: Den zuletzt stark diskutierten Abbiegeassistenten
verbaut Mercedes weiterhin nur gegen Aufpreis.
Die Antriebe werden nicht verändert, sieht man von Details ab. Hybrid, Elektro oder Ähnliches gibt es nicht, lediglich ein Gasmodell mit etwas spärlichen 300 PS
ist verfügbar. Unter dem Strich soll der neue Actros immerhin noch einmal etwas weniger verbrauchen - drei Prozent auf der Autobahn und fünf im Überlandverkehr
verspricht Mercedes. Mittel zum Zweck sind neben der Mirror Cam und weiterem Aerodynamik-Feinschliff etwa an den Endkantenklappen und den Dachspoilern
die intelligente Tempomat- und Getriebesteuerung Predictive Powertrain Control (PPC), die jetzt noch effizienter arbeiten soll und dank erweitertem Kartenmaterial
auch auf Überlandstrecken einsetzbar ist. Außerdem kommen neue kraftstoffsparende Übersetzungen an der gewichtsoptimierten Hinterachse zum Einsatz.
Klar ist aber auch: Mehr noch als beim Pkw ist eine merkliche Verbrauchsreduktion im zweistelligen Bereich kaum mehr wirtschaftlich möglich.
Die meisten Neuerungen des Actros lässt Mercedes auch dem robusten Schwestermodell Arocs zukommen. So sind MirrorCam, Active Brake Assist 5, Multimedia-Cockpit und
verbessertes PPC auch für das Baufahrzeug verfügbar. Unterschied: Gehören die Neuheiten beim Actros in der Regel zur Serienausstattung, sind sie für den
Arocs zumeist als Sonderausstattung bestellbar.
1,2 Millionen Actros hat Mercedes nach eigenen Angaben vom Actros verkauft, seit dieser 1996 die beliebte Vorgänger-Baureihe SK ablöste. Gefertigt werden
Actros und Arocs genau wie bisher im größten Mercedes-Lkw-Werk in Wörth, wo auch Antos, Atego, Econic, Unimog und Zetros vom Band laufen. Mit mehr als
10.300 Mitarbeitern ist das Werk zweitgrößter Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz. Bestellstart für den Actros ist noch diesen Monat, die Auslieferungen sollen
Anfang 2019 beginnen. Preise liegen noch nicht vor, aber natürlich kostet eine anständig ausgestattete und motorisierte Zugmaschine über 100.000 Euro.