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20 Jahre Espace: Eine Er- folgsgeschichte in vier Akten |
Renault |
"Zu diesem Auto kommt man von selbst, wenn man alle automobilen Eitelkeiten beiseite lässt", meinte Renault-Chef Bernard
Hanon 1984 bei der Vorstellung des ersten Renault Espace. Damals erschloss das Unternehmen echtes Neuland:
Großraumlimousinen im heute so populären One-Box-Design waren in Europa bis dahin völlig unbekannt. Doch die überraschte
Öffentlichkeit konnte zunächst wenig mit dem revolutionären Konzept anfangen. Weder Kleinbus noch Kombi, entzog sich der
Espace den üblichen Bewertungskriterien. Komfortbewusste Großfamilien schienen etwa den Testern von "auto motor
und sport" als Autokäufer ebenso ungewöhnlich wie Gesellschaftsspiele im Auto oder mobile Geschäftsleute mit erhöhtem
Raumbedarf. Als Fazit kommt das Blatt zu dem Schluss: "So bleibt es den Käufern überlassen, ob sie in diesem Konzept
das Ei des Kolumbus und eine fortschrittliche Alternative zu regulären Limousinen und Kombis sehen - oder ob der Espace
die Antwort auf eine Frage ist, die niemand gestellt hat."
20 Jahre sind seitdem vergangen, und man kann wohl sagen, dass diese Frage inzwischen hinreichend beantwortet ist: Der
Espace geht in seiner nunmehr vierten Generation auf die Millionengrenze zu, führt zwar nicht in Deutschland, aber doch
auf dem europäischen Markt weiterhin die Zulassungsstatistik in seinem Segment an und hat viele Nachahmer gefunden.
Beginnend bei Null eroberten die Minivans in Deutschland inzwischen einen Marktanteil von 14,9 Prozent. Kaum ein
Hersteller, der sich dabei nicht das Espace-Konzept zum Vorbild genommen hätte, das mittlerweile in allen Fahrzeuggrößen
als zusätzliches Segment etabliert ist - ob Renault Modus, VW Caddy oder Ford Galaxy.
Die Espace-Geschichte beginnt bereits 1978: Philippe Guédon, damals Technischer Leiter des auf Kleinserien spezialisierten
Autoherstellers und Technologiekonzerns Matra, brachte die Van-Idee aus den USA mit. Im Unterschied zu den dort üblichen
Maxi-Formaten bevorzugte er von Anfang an eine Lösung mit kompakten Außenabmessungen. Bereits 1979 stand der erste Prototyp
in den Hallen von Matra: Vom gut vier Meter langen "P16" gab es eine Karosserie- und eine Interieurstudie.
Doch Guédon war noch nicht zufrieden: Er hatte an ein Automobil gedacht, das seinen Wünschen und Anforderungen als
Familienvater, Autofahrer und als Mensch mit umfangreichen Freizeitaktivitäten entsprach. Es sollte so agil und elegant
sein wie eine Limousine, gleichzeitig aber mehr nutzbaren Raum für die Familie und das Gepäck bieten. Die Matra-Ingenieure
machten sich noch einmal ans Werk und überarbeiteten den ersten Prototypen nach den Vorstellungen ihres Chefs. So entstand
der "P18", der allerdings stilistisch noch weit vom späteren Espace entfernt war. Sein One-Box-Konzept jedoch wies bereits
die wichtigsten Grundzüge auf: durchgehender Innenraum, hohe Sitzposition, mit 2,60 Metern üppig dimensionierter Radstand
und ein für damalige Verhältnisse futuristisches Design.
1982 präsentierten Matra und Guédon das Projekt dem damaligen Renault Chef Bernard Hanon. Der erkannte das Potenzial des
neuen Fahrzeugs und gab grünes Licht für die Serienentwicklung des Projekts, das inzwischen auf die Nummer "P23" hörte.
Während Renault für die Produktdefinition, die mechanischen Komponenten, die Verkaufsförderung und den Vertrieb zuständig
war, übernahm Matra die Bereiche Produkt- und Fertigungsentwicklung. Die Kooperation der beiden Unternehmen zeigte
fruchtbare Ergebnisse, in die auch der damalige Produktchef von Renault, Jacques Cheinisse, seine Ideen einbrachte - die
herausnehmbaren Sitze etwa oder der Einsatz des Zwei-Liter-Motors mit 150 PS.
Im Matra-Werk Romorantin wurden moderne Produktionseinrichtungen für den neuen Espace installiert. Bei der Fertigung der
neuen Großraumlimousine wurden unter anderem auch Technologien aus der Raumfahrtindustrie genutzt: Schon bei der ersten
Espace-Generation bestand die Karosserie aus einer feuerverzinkten Stahlstruktur, die eine Außenhaut aus
Verbundkunststoffen trug.
1984 folgte die Markteinführung - und sie sorgte für eine ausgeprägte Schrecksekunde bei Renault: Im ersten Verkaufsmonat
gingen lediglich neun Bestellungen ein. Doch dann hatte das Publikum die ungewohnte Form akzeptiert und die Produktvorteile
erkannt. Noch im ersten, nicht vollständigen Produktionsjahr rollten 5.923 Exemplare des neuartigen Minivans vom Band.
Nach gut 190.000 Einheiten kam 1991 der Nachfolger, der noch geräumiger und eleganter an den Start ging. Bei unverändertem
Radstand wuchs die nun von runderen Formen geprägte Karosserie um 18 Zentimeter in die Länge und bot damit deutlich mehr
Platz für Gepäck oder die Passagiere in der dritten Sitzreihe. Zudem ergänzte Renault seine Antriebspalette erstmals auch
um einen Sechszylinder-Motor: Der 2,8-V6 leistete 150 PS und war mit elektronischer Benzineinspritzung und G-Kat
ausgerüstet, optional auch mit Automatik, die schon bald zum serienmäßigen Lieferumfang gehörte. Im Juli 1996 feierte der
Espace sein erstes großes Produktionsjubiläum: In Romorantin rollte das 500.000ste Exemplar vom Band.
1997 führte Renault die dritte Generation des Raumwunders ein, die innerhalb von 44 Monaten entwickelt worden war. Ein Jahr
später folgte die nächste Produktinnovation: Der um 27 Zentimeter längere Grand Espace bot ein noch mal vergrößertes
Platzangebot im Innenraum und auch bei voller Bestuhlung mit sieben Sitzen ein üppiges Gepäckabteil.
Seit 2002 rollt die vierte Generation über die Straßen, die wiederum in einer normalen und langen Version zu haben
ist und sich die Plattform mit Laguna und Vel Satis teilt. Erstmals besteht das Karosseriekleid des Espace aus einem
Materialmix mit Teilen aus verzinktem Stahl, leichtem Aluminium und unterschiedlichen Kunststoffen. Die Zeiten der
durchgehenden Kunststoff-Außenhaut sind damit vorbei: Die stetig gestiegene Espace-Nachfrage erfordert höhere
Produktionskapazitäten, die sich mit der bisherigen Methode nicht mehr realisieren ließen. Damit endet auch die
Fertigung bei Matra. Der Espace entsteht von nun an im Renault-Werk Sandouville.
Inzwischen gibt es sogar zwei Sechszylinder: Der 241 PS-Benziner markiert derzeit die Leistungsspritze in dieser
Klasse, und der Diesel mit 177 PS ist der einzige V6 im Segment. 2003 erreicht das Modell im EuroNCAP-Crashtest nicht
nur fünf Sterne, sondern mit 35 Punkten auch das bis dahin beste jemals erreichte Ergebnis.
Eine Erfolgsgeschichte also, und weil man an Geburtstagen nicht kritisieren will, wollen wir auch nicht fragen, ob
dafür die ersten Generationen möglicherweise überdurchschnittlich unsicher waren. Oder das teils erbärmliche
Abschneiden des großen Renault in der ADAC-Pannenstatistik thematisieren. Der Espace hat, keine Frage, das Van-Segment begründet und damit ganz nebenbei auch das Image von Renault als mutig, unkonventionell und bisweilen den Mitbewerbern weit voraus - jenes Konzept, das kaum besser beschreibbar ist als mit dem aktuellen
Slogan "Créateur d'Automobiles". Félicitation, Espace!