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Super-Roadster: Mercedes SL 65 AMG |
DaimlerChrysler |
Welches Modell ist das stärkste oder schnellste Modell von Mercedes? Nun, an den Maybach mag man denken, und mit
550 PS aus zwölf Zylindern gehört er gewiss zu den Spitzenreitern im modernen Automobilbau, fährt aber dennoch nicht
vorneweg. Dann muss es wohl der SLR McLaren sein, jene nur in Kleinserie gebaute Reminiszenz an die legendären
Mercedes-Flügeltürer?! Ja, in punkto Schnelligkeit ist das wahr, aber nicht in punkto Leistung: Der SLR lebt von seinem
vergleichsweise geringen Gewicht, so dass ihm nur acht Zylinder und 780 Newtonmeter ausreichen, um nahezu alle anderen
stehen zu lassen.
Die richtige Antwort in punkto Leistung lautet, jedenfalls bald: Es ist der SL 65 AMG. Während in der 55er-Variante des
AMG-Motors (5,5 Liter-V8), die man u.a. aus M-, E-, G- und demnächst sogar auch der aufgefrischten C-Klasse kennt, schon
bis zu 500 Pferde und 700 Newtonmetern werkeln, legen die Stuttgarter in S-, CL- und eben SL-Klasse noch eines drauf. Der
Zwölfzylinder leistet 612 PS und, anschnallen, 1.000 Newtonmeter Drehmomentmaximum. Damit macht er den SL nach Mercedes-Lesart
zum stärksten Roadster der Welt.
Die Basis des AMG-Motors bildet der Zwölfzylinder aus der S-Klasse, der dort seit der letzten Modellpflege schon beachtliche
500 PS leistet und damit die Kunden, vor allem aber die Mitbewerber in München und anderswo, in großes Erstaunen und
gewisse Hektik versetzt hat. Neben der Hubraumerweiterung von 5.513 auf 5.980 Kubikzentimeter - die Modellbezeichnung
täuscht wieder einmal mehr Hubraum vor als tatsächlich vorhanden ist - sind zahlreiche weitere Detail-Maßnahmen für den
Leistungs- und Drehmomentzuwachs verantwortlich. In erster Linie ist insoweit die Biturboaufladung mit groß dimensionierten
Turboladern und leistungsfähiger Wasser-Ladeluft-Kühlung zu nennen. Dazu kommen u.a. Schmiedekolben, Haupt- und Pleuellager
aus extrem temperatur- und druckbeständigem Werkstoff sowie vergrößerte Öffnungen in den Einspritzventilen, um einen höheren
Kraftstoffdurchsatz zu erzielen. Hightech wird bereits beim Öffnen der Motorhaube offenbar: Die neu gestaltete Abdeckung
über der in Handarbeit gefertigten Maschine aus tiefgezogenem Aluminium und kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK) ist ein
optischer Leckerbissen. Wer genau hinschaut, entdeckt auch die AMG-typische Motorplakette, auf der der verantwortliche
Techniker mit seiner Unterschrift für die Qualität "bürgt".
Das Ergebnis sind also 1.000 Newtonmeter Drehmoment, die konstant zwischen 2.000 und 4.000 Umdrehungen anliegen; selbst bei
1.000 Touren stehen schon 570 Newtonmeter zur Verfügung. Wer es darauf anlegt, kann diese Kraft dazu nutzen, den Roadster,
obwohl dem "L" wie "leicht" in seinem Namen schon lange nicht mehr gerecht werdend, in sagenhaften 4,2 Sekunden auf Tempo 100
zu katapultieren. Nach 12,9 Sekunden bereits ist Tempo 200 erreicht, und schon wenige Sekunden später regelt die Elektronik
bei 250 km/h den Vortrieb ab, wenn auch gemutmaßt werden darf, dass diese Sperre auf Wunsch von solventer Kundschaft im
Einzelfall auch angehoben werden dürfte. Damit ist der SL 65 AMG nochmals schneller als etwa der gleichmotorisierte CL 65 AMG.
Nicht nur der Motor, sondern nahezu die gesamte übrige Mechnik und Technik des Roadsters musste dem Leistungspotenzial
angepasst werden. Zu nennen sind etwa ein neu abgestimmtes AMG-Sportfahrwerk und nicht zuletzt die Hochleistungsbremsanlage
mit belüfteten und gelochten Grauguss-Verbundscheiben vorne und hinten, die wie bei SL, CLS und SL üblich elektrohydraulisch
angesteuert wird (SBC, Sensotronic Brake Control).
Spezielle Antriebswellen, größer dimensionierte Radträger und -lager sowie spezielle Federlenker an der Hinterachse ergänzen
die Maßnahmen. Im verstärkten, mit einem Kühlkörper ausgestatteten Hinterachs-Differenzialgehäuse sitzt ein mechanisches,
asymmetrisches Lamellen-Sperrdifferenzial mit einem Sperrfaktor von 40 Prozent unter Last; speziell bei sehr sportlicher
Fahrweise soll es in Verbindung mit dem ebenfalls neu abgestimmten ASR gute Traktion ermöglichen.
Serienmäßig ist das ABC-System (Active Body Control) mit AMG-spezifischen Federbeinen und straffer abgestimmten
Dämpfern. Auf Knopfdruck kann der Fahrer ein noch sportlicheres Kennfeld wählen, womit sich Wank- und Seitenneigung
nochmals deutlich reduzieren lassen. Die Kraftübertragung obliegt der hauseigenen Fünfgang-Automatik mit Lenkradschaltung
und manuellem Fahrprogramm, die in weiten Teilen ebenfalls dem Leistungspotenzial angepasst werden musste.
Noch ein Blick auf die Optik, die für Diskussionen sorgen dürfte: Während sich manch einer über die imageträchtigen AMG-
und sonstigen Schriftzüge sowie die veränderte Optik freuen mag, werden andere das früher gepflegte Understatement
schmerzlich vermissen und sich fragen, warum man in jüngster Zeit keinen unauffälligen, aber pfeilschnellen Mercedes mehr
bekommt, dem allerhöchstens echte Kenner ansehen, was unter der Haube steckt. Konkret trägt der AMG-SL eine veränderte
Frontschürze, deren größere Lufteinlässe Wasser-, Öl- und Ladeluftkühler mit ausreichend Frischluft versorgen
und im übrigen auch an die Optik der Formel 1-Safety Cars erinnern sollen, sowie einer ebenfalls modifizierten Heckschürze
als Heimat der zweiflutigen Abgasanlage mit ovalen Doppel-Endrohren links und rechts. Dazu kommen größere
Seitenschwellerverkleidungen, dunkel getönte Rückleuchten, ein AMG-spezifischer Kühlergrill und an den vorderen
Kotflügeln zwei Chromschriftzüge "V12 BITURBO". Die Kraft auf die Straße zu bringen obliegt 19 Zoll-Rädern mit
Mischbereifung im Format 255/35 vorne und 285/30 hinten.
Im Interieur fällt das Auge zunächst auf Einstiegsleisten aus "geätztem und poliertem Aluminium" mit AMG-Logo und dann
auf den Instrumenteneinsatz mit Alcantara-Hutze, völlig übertriebener 360-km/h-Skala und noch einem "V12 Biturbo"-Schriftzug.
Serienmäßig verbaut Mercedes u.a. BiXenon-Licht, das COMAND-System mit DVD-Technik, Sound-System und CD-Wechsler. Platz
genommen werden darf auf spezifischen AMG-Multikontur-Sportsitzen mit feinem Nappaleder-Bezug und elektrischer Verstellung
mit Memoryfunktion.
Im Juni, wenn die aktuelle SL-Klasse auch schon das dritte Jahr fast vollendet hat, wird die AMG-Version als fünfte
Variante zu den Händlern rollen. Der Kompressor-V8 im SL 55 AMG wird weiterhin angeboten. Für das Topmodell sind
nicht weniger als knapp 202.000 Euro einzuplanen, aber die anvisierte Kundschaft dürfte es im Zweifel nicht allzu sehr
interessieren, dass man für das Geld auch zwei gut ausgestattete SL 350 bekommen würde. Andererseits ist das auch
weniger als die Hälfte der Summe, die für einen nur achtzylindrigen SLR auf den Tisch zu blättern sind...