Die Automobilzulieferindustrie befindet sich weltweit in einem tiefgreifenden Wandel. Stagnierende Absatzmärkte und scharfer
Wettbewerb bei den Fahrzeugherstellern drücken deutlich auf die Renditen der Lieferanten. Dies sind zentrale Ergebnisse
einer internationalen Studie von Roland Berger Strategy Consultants über die Marktentwicklung bei den Automobilzulieferern.
Auf diese zentralen Herausforderungen reagiert die Branche derzeit mit neuen Konzepten. So bilden sich weltweite
Zulieferernetzwerke immer häufiger als Weiterentwicklung der pyramidenartigen Strukturen der Vergangenheit heraus.
Überzogenes Outsourcing wird zunehmend kritisch hinterfragt. Es geht vielmehr um die optimale Ansiedlung der
kritischen 20-30 Prozent Eigenleistung in der Gesamtwertschöpfung. Immer mehr Zulieferfirmen sehen sich zudem mit
Finanzierungsschwierigkeiten konfrontiert. Statt Fusionen rücken flexible Partnerschaften für zahlreiche Unternehmen stärker
in den Blickpunkt. Im Rahmen der Studie wurden 140 Top-Entscheider aus der internationalen Automobil- und Zulieferindustrie
befragt.
Marktstrukturen, aber auch strategische Unternehmensentscheidungen bei den Zulieferfirmen unterliegen derzeit international
einem grundlegenden Wandel. Dr. Thomas Sedran, Partner und Leiter des Competence Center Automotive bei Roland Berger
Strategy Consultants: "Die Hauptaufgabe der Führungsteams bei den Zulieferern wird künftig darin bestehen, das Unternehmen
in einem dynamischen Umfeld erfolgreich zu positionieren. Strategisches Know-how wird dabei zum Schlüsselkriterium für
profitables Wachstum. Schon heute können die richtigen Antworten auf die Trends der Zukunft gegeben werden."
Aus dem Vergleich mit den Ergebnissen der Roland Berger-Zuliefererstudie von 1999 ergeben sich sechs wesentliche
Trends:
1. Von der Zulieferer-Pyramide zum Zulieferer-Netzwerk
In der Vergangenheit war ein starker Trend zur Bildung von Zulieferer-Pyramiden erkennbar. Besonders kleinere Lieferanten
drohten in die zweite oder dritte Reihe abzurutschen. Aktuelle Erfahrungen mit komplexen Großaufträgen, verbunden mit der
Konsolidierungswelle in der Zulieferbranche und entsprechenden Integrationsproblemen, bewirken einen Wandel.
Automobilhersteller und -zulieferer werden künftig verstärkt auf Netzwerke mit spezialisierten Zulieferertypen setzen. Dazu
zählen Systemintegratoren, Technologie- und Produktspezialisten sowie Prozess- und Fertigungsexperten. Bereits heute haben
sich mehr als 50 Prozent der befragten europäischen Zulieferer in diesen neuen Strukturen positioniert. Die Netzwerke werden
je nach Markenpositionierung des Herstellers, Bedeutung des jeweiligen Fahrzeugmodells und der betroffenen
Fertigungsstandorte sehr unterschiedlich strukturiert sein - hinsichtlich der Eigenwertschöpfung des Herstellers wie auch
der Auswahl und Integration der beteiligten Zulieferer.
2. Outsourcing oder Insourcing?
Offen bleibt - wie bereits 1999 - die Frage der optimalen Wertschöpfungstiefe bei Automobilherstellern und Zulieferern. Eine
Erhöhung der Eigenleistung durch Insourcing steht derzeit bei den meisten Unternehmen noch nicht auf der Agenda. Im
Gegensatz zur einseitigen Outsourcing-Strategie früherer Jahre gilt derzeit als entscheidend, ob zur langfristigen
Ergebnisoptimierung die "richtigen" 20-30 Prozent der Gesamtwertschöpfung im eigenen Unternehmen erzeugt werden.
3. Zunehmende Engpässe bei der Finanzierung von Zulieferern
Die starke Verlagerung von Aufgaben und Risiken auf die Zulieferer (55 Prozent der befragten Unternehmen sehen diesen
Prozess als noch nicht abgeschlossen), aber auch eine restriktivere Kreditpolitik der Banken hat die Finanzierungsengpässe
der Zuliefererindustrie seit 1999 gravierend verschärft. Zwar springen Private Equity Fonds als Finanzierungspartner
teilweise ein. Eine grundlegende Entspannung zeichnet sich für die Zulieferer jedoch derzeit nicht ab. Künftig
wird der Einfluss funktionierender Kapitalmärkte, innovativer Finanzierungsmodelle sowie einer "intelligenten" Verteilung
von Kapitaleinsatz und Risiken entlang der automobilen Wertschöpfungskette signifikant wachsen.
4. Stärkere Differenzierung der Geschäftsmodelle
Losgrößen und Markenpositionierung der Automobilhersteller tragen zunehmend zum wirtschaftlichen Erfolg der Zulieferer bei.
Daher müssen sämtliche Wertschöpfungsprozesse künftig zielgenau auf die spezifischen Anforderungen der Hersteller
ausgerichtet sein. Basis dafür ist eine klare Positionierung im Zulieferernetzwerk. In der Folge werden sich die
Geschäftsmodelle in der Zulieferindustrie noch stärker ausdifferenzieren. 60 Prozent der befragten Unternehmen sehen
dabei eine individuell auf den Kunden ausgerichtete Organisation von Entwicklung und Vertrieb im Vordergrund. Diese gilt es ebenso umzusetzen wie eine geschäftsmodellspezifische Optimierung der Produktion.
5. E-Business - von der Euphorie zum operativen Einsatz
Noch 1999 gingen viele Zulieferer von einer raschen Veränderung unternehmensübergreifender Prozesse durch das Internet aus.
Die nüchterne Erkenntnis 2002 lautet: Moderne Kommunikationstechnologien sind zwar ein wichtiges Werkzeug bei der
Koordination entstehender Zulieferernetzwerke. Nachhaltige Prozessveränderungen werden dagegen erst nach langfristiger
intensiver Nutzung internetbasierter Technologien erwartet.
6. Wachsende Rolle von Partnerschaften statt M&A
In den letzten Jahren haben sich Zulieferer häufig darauf konzentriert, Übernahmen und Fusionen organisatorisch und
personell zu bewältigen. Dabei waren nicht alle Unternehmen erfolgreich. Angesichts knapper Ressourcen setzt die Branche
derzeit verstärkt auf flexible Partnerschaften und Joint Ventures. Beispiele wie Hella-Behr stoßen bei Herstellern auf
positive Resonanz und weisen zugleich wirtschaftliche Erfolge auf.