Ist die Straße durch ein Hindernis, etwa ein parkendes Auto, blockiert, muss derjenige, auf dessen Seite sich das
Hindernis befindet, warten und dem Gegenverkehr den Vortritt gewähren. Das steht in § 6 StVO, lernt man schon in der
Fahrschule und das macht auch Sinn. Fraglich bei dieser alltäglichen Situation ist jedoch, ob auch dann eine Wartepflicht
besteht, wenn die Straße breit genug ist, um trotz Gegenverkehr das Hindernis passieren zu können, und ob der Gegenverkehr
dann verpflichtet ist, seinerseits Platz zu machen.
Ja, hat jetzt das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden. Die gesetzliche Regelung sei nicht anwendbar, wenn für ein
gleichzeitiges Durchfahren der Engstelle durch zwei sich begegnende Kraftfahrzeuge genügend Raum verbleibe. In einem
solchen Fall richte sich die beiderseitigen Verhaltenspflichten nach § 1 Abs. 2 StVO: Der an dem Hindernis Vorbeifahrende
dürfe die Gegenfahrbahn mitbenutzen und der Entgegenkommende sei grundsätzlich verpflichtet, demjenigen, der an dem
Hindernis links vorbeifahren will, rechtzeitig und ausreichend weit nach rechts auszuweichen. Nur durch eine solche
Fahrweise könne auch den Anforderungen des fließenden Verkehrs Genüge getan werden, heißt es in der Entscheidung. Müsste
jeder Pkw-Fahrer, der wegen eines rechts parkenden Fahrzeugs die linke Fahrbahnseite mitbenutzen muss, trotz ausreichend
verbleibender Fahrbahnbreite warten, bis der Gegenverkehr passiert hat, käme der Verkehr in Innenstädten zum Erliegen,
so die Richter in ihrer Urteilsbegründung (Urteil vom 14. Mai 2004,
- 10 U 214/03 -).
In dem zugrundeliegenden Fall hatte der spätere Kläger mit seinem Golf eine zweispurige Straße befahren, an deren rechten
Fahrbahnrand Pkw geparkt waren. Die eigentlich 7,35 Meter breite Fahrbahn wurde so auf 5,35 Meter verengt. Beim Vorbeifahren
nutzte er teilweise auch die linke Fahrbahnseite, und es kam zum Zusammenstoß mit dem Passat des entgegenkommenden
Beklagten, obwohl die verbleibende Fahrbahnbreite ein problemloses Passieren der beiden Fahrzeuge bei einem jeweiligen
Seitenabstand von 65 Zentimetern erlaubt hätte.
In dem Urteil heißt es, beide Parteien hätten gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Der Passatfahrer habe außerdem
das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme im Straßenverkehr missachtet. Die Vorschrift des § 6 StVO greift dem Urteil
zufolge nur dann ein, wenn kumulativ (nicht alternativ) ein - vorübergehendes - Hindernis die Fahrbahn so verengt, dass
die Benutzung der Gegenfahrbahn erforderlich wird, und wenn links von dem Hindernis so wenig Platz verbleibt, dass sich
begegnende Fahrzeuge die Engstelle nicht gleichzeitig passieren können.
Weil das Gericht außerdem feststellte, dass der Beklagte unmittelbar vor dem Unfall sein Fahrzeug noch nach links lenkte,
während der Kläger noch versucht hatte, nach rechts auszuweichen, legte es eine Schadensquote von 2/3:1/3 zu Lasten des
beklagten Passat-Fahrers fest.
Kommentar:
Endlich mal wieder ein realitätsgerechtes Urteil. Die Wirkung in der Praxis dürfte allerdings gering sein, weil die meisten
Autofahrer eben Geschwindigkeiten und Abstände nicht vernünftig einschätzen können und/oder wollen. So wird oft
vor dem Hindernis gehalten, obwohl ein Passieren sogar ohne Gegenverkehr noch möglich gewesen wäre, nach dem Hindernis
wird zu schwach eingeschert, und Entgegenkommende brauchen offenbar mindestens 50 Zentimeter Abstand zum Randstein. Hupen
und wildes Gestikulieren liegt dann meist näher als Nachdenken. In der Nähe unserer Redaktion gibt es eine Straße, in der
das Phänomen jeden Tag zu "bewundern" ist: Die Folge sind sinnloser Stau, Lärm und Abgase in einem Wohngebiet. (hsr)