Niedersachsen hat am Montag den Startschuss für den Modellversuch Begleitetes Fahren gegeben. Wie Verkehrsminister Walter
Hirche in Hannover bekannt gab, können in einer ersten Phase Jugendliche in 18 Kreisen und kreisfreien Städten zur
Führerscheinausbildung anmelden, zum 01.11.2004 werden die restlichen Regionen folgen. Mangels einer bundeseinheitlichen
Regelung - Verkehrsminister Stolpe ist bislang nicht tätig geworden - wird die Teilnahme über einzelne
Ausnahmegenehmigungen ermöglicht. In Frage kommt das Modell für rund die Hälfte aller Jugendlichen, die jetzt den
Führerschein bereits mit 17 Jahren machen können, anschließend bis zu ihrem 18. Geburtstag aber nur in Begleitung ihrer
Erziehungsberechtigten fahren dürfen. Niedersachsen verspricht sich von dem Modell eine Senkung der Unfallzahlen in
der Risikogruppe der Fahranfänger.
Hirche beklagte bei der Vorstellungen die "unendlichen Verzögerungen" und das "Sperrfeuer" seitens des Bundesverkehrs-
und inzwischen des Bundesjustizministeriums. Zwar sei der Weg über Ausnahmegenehmigungen ein größerer bürokratischer
Aufwand, aber angesichts der Verkehrsopfer-Zahlen sei ein längeres Zuwarten nicht weiter verantwortbar. Etliche Experten,
darunter auch der Verkehrsgerichtstag, hätten die Einführung eines Modellversuchs unterstützt; viele Bundesländer wollten
dies ebenfalls.
Im Gegensatz zur diskutierten Bundesregelung sind die Bedingungen für den Modellversuch in Niedersachsen etwas verändert.
Für die Jugendlichen gilt: Mindestalter für die Teilnahme am Modellversuch ist 17 Jahre. Die praktische Prüfung kann
frühestens einen Monat vor dem 17. Geburtstag erfolgen, die Teilnahme an einer 90-minütigen Schulung ist Pflicht. Die
Erziehungsberechtigten müssen im Rahmen ihres "Erziehungsauftrages" einwilligen (Zustimmung zum Antrag) und sich
verpflichten, als Beifahrer zur Verfügung zu stehen. Begleitpersonen können nur die Erziehungsberechtigten sein. Für
diese wird die Teilnahme an der Schulung empfohlen, jedoch nicht verbindlich vorgeschrieben. Zur Unterstützung des
Gesamtkonzeptes werden die "Führerschein-AGs" an den Schulen ausgeweitet.
Fährt der Jugendliche allein oder nicht mit seinen Erziehungsberechtigten, wird ein Bußgeld von 50 Euro und ein Punkt im
Verkehrszentralregister fällig. Dies führt automatisch zu einem Widerruf der Ausnahmegenehmigung. Der Jugendliche muss
dann bis zum 18. Lebensjahr warten, bis er seinen Führerschein bekommt. In besonders schweren Fällen wird überprüft, ob die
Fahrerlaubnis entzogen werden muss. Dies könne zum Beispiel bei "Diskotouren" der Fall sein. Gibt sich ein Begleiter als
Erziehungsberechtigter aus, werden für diesen ebenfalls 50 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg fällig.
Die Ausnahmegenehmigung wird gegen eine Gebühr von 20 Euro innerhalb weniger Tage per Post erteilt. Nach der ganz normalen
Ausbildung in der Fahrschule und der Teilnahme an der 90-minütigen Schulung über die Ziele und Bedingungen des
Modellversuchs bei den Fahrschulen (Kosten noch ungeklärt) oder der Landesverkehrswacht (kostenfrei) erhalten Absolventen
eine Prüfungsbescheinigung als vorläufigem Führerschein. Die richtige "Pappe" gibt es wie gewohnt zum 18. Geburtstag.
Unterschiedliches Echo bei Auto-Clubs
Die Reaktionen auf den Vorstoß des Bundeslandes sind gespalten: Der ADAC kritisierte das Modell als "insgesamt
unzureichend", weil es sich lediglich darauf beschränke, die Fahrpraxis zu erweitern. Außerdem reiche die Aufsicht des
Begleiters nicht aus, um die höhere Risikodisposition eines Fahranfängers zu kompensieren, zumal der Begleiter nicht in
das Fahrgeschehen eingreifen könne. Außerdem werde je nach Inanspruchnahme die Risikogruppe der jungen Fahranfänger um
einen mehr oder weniger großen Teil der 17-Jährigen vergrößert. Vor diesem Hintergrund müsse sogar ein zumindest
vorübergehender Anstieg der Unfallrisiken von Fahranfängern befürchtet werden, hieß es in München, wo man das
Alternativprojekt "Zweite Ausbildungsstufe" für geeigneter hält.
Auch der Automobilclub von Deutschland (AvD) kritisierte den Vorstoß. Wenn man auch nicht generell gegen das Projekt sei,
so machten doch die fehlenden Zugangsvoraussetzungen für die Eltern als Beifahrer sowie die weiterhin ungeklärten
Haftungsfragen das Projekt zu einem "Schnellschuss ohne schlüssiges Konzept". Hinsichtlich der Unfallgefahr junger
Erwachsener spreche man von einem eigendynamischen Gruppendruck als Ursache. "Dies hat mehr mit Mutproben zu tun als
mit den klassischen Anfängerfehlern", so AvD-Sprecher Jürgen Hövekenmeier. Diese seien sind Parkplatzrempler, falsches
Einordnen, unsichere Fahrweise oder falsches Einschätzen des eigenen Fahrzeugs. "Das eigentlich schwerwiegende Problem
mit den Unfällen der »Discoraser« wird nicht gelöst." Der AvD forderte deshalb ein Mindestalter von 30 Jahren
der Begleitperson, maximal drei Punkte in Flensburg und die Teilnahme des Begleiters an einem 10-stündigen Seminar in
Theorie und Praxis. Außerdem sollten die Fahrzeuge mit einem aus anderen Ländern bekannten großen "L" ("Learner")
gekennzeichnet werden. Letzteres allerdings wäre den Jugendlichen nachvollziehbarerweise wohl nicht zu vermitteln, darf
hinzugefügt werden.
Beim Auto Club Europa (ACE) war man dagegen voller Lob für den niedersächsischen Vorstoß: Es sei konsequent, dass
Fahranfänger möglichst viele Erfahrungen in guter Begleitung sammeln sollten, bevor sie allein automobil werden,
hieß es in Stuttgart. Man gratuliere dem Land für seine gute Verkehrssicherheitsarbeit und die Handlungsentschlossenheit.