Ein Fußgänger, der ein Fahrrad schiebt und damit eine sechs Meter breite Fahrbahn überqueren will, muss sicherstellen, dass
er in einem Zuge hinübergehen kann, ohne in der Mitte stehen bleiben zu müssen. Anderenfalls ist es ihm zumutbar, eine etwa
100 Meter entfernte Ampel zu benutzen. Das hat das OLG Hamm entschieden.
Wie der Anwalt-Suchservice berichtet, wollte ein Mann, der ein Fahrrad bei sich hatte, eine Straße überqueren. Wegen des
Verkehrs konnte er nicht in einem Zug auf die andere Seite gelangen, sondern musste an der Mittellinie warten, um ein von
rechts kommendes Auto auf der zweiten Fahrbahnhälfte vorbeizulassen. Der Fahrer eines Motorrollers, der sich von links auf
der ersten Fahrbahnhälfte näherte, geriet gegen das Hinterrad des Fahrrades, das noch in seine Spur hineinragte, stürzte und
verletzte sich erheblich. Später verklagte er den Fußgänger auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.
Das OLG Hamm entschied, dass der Fußgänger für den Unfall haften müsse und dem Rollerfahrer 40 Prozent seines materiellen
Schadens zu ersetzen sowie 1.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen habe (Urteil vom 19.11.2002,
- 27 U 86/02 -).
Der Mann habe beim Überqueren der Fahrbahn gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Fußgänger, so die Richter, dürften
Straßen an dafür nicht besonders vorgesehenen Stellen nur mit erhöhter Vorsicht überqueren. Normalerweise hätten sie dem
Fahrverkehr den Vorrang einzuräumen und dürften nur über die Straße gehen, wenn sie sicher sein könnten, nicht in die Spur
von Fahrzeugen zu geraten oder diese zu behindern. Ein Überqueren der Fahrbahn in zwei Etappen, mit einem Stopp an der
Mittellinie, sei nur ausnahmsweise erlaubt, bei sehr breiten und belebten Straßen, die anders praktisch nicht überquert
werden könnten.
Im vorliegenden Fall, so die Richter, hätte der Fußgänger keinesfalls in Etappen über die Straße gehen dürfen. Das
mitgeführte Fahrrad habe nicht nur seine Beweglichkeit eingeschränkt, sondern auch die Fahrbahn teilweise versperrt. Aus
diesem Grund hätte er die Straße nur überqueren dürfen, wenn er sicher sein konnte, in einem Zug auf die andere Seite zu
gelangen. Da dies angesichts der Verkehrslage nicht der Fall war, wäre es dem Mann zuzumuten gewesen, eine 100 Meter
entfernte Ampel zu benutzen, so das Gericht.
Allerdings könne der Rollerfahrer nur Ersatz von 40 Prozent seines materiellen Schadens verlangen. Zum einen müsse er sich
die von seinem Motorroller ausgehende Betriebsgefahr anrechnen lassen. Zum anderen treffe ihn eine Mitschuld an dem Unfall.
Er sei gegen das Hinterrad des Fahrrades gefahren, obwohl er nach rechts hätte ausweichen können. Angesichts des lebhaften
Gegenverkehrs habe er damit rechen müssen, dass der Fußgänger gezwungen sein könnte, mit seinem Rad in der Fahrbahnmitte
stehen zu bleiben. Der Rollerfahrer hätte deshalb nicht einfach schnurstracks weiterfahren und darauf vertrauen dürfen, dass
der Fußgänger die Spur rechtzeitig vor ihm räumen würde, so die Richter.