Volkswagen
Gut, aber nicht perfekt:
Neuer VW Golf VII
Der neue Golf ist präsentiert, und jeder hat eine Meinung dazu. Auch wir: Vielen positiven Eigenschaften und
Verbesserungen stehen zahlreiche Ärgerlichkeiten gegenüber, die dem erwarteten Gefühl von Perfektionismus zuwiderlaufen.
Der neue VW Golf bekommt einen größeren Kofferraum, einen längeren Radstand, neue Serienausstattungen
(u.a. elektrische Handbremse, variabler Ladeboden, elektronische Differentialsperre), neue Assistenzsysteme
und Extras (u.a. Panorama-Dach, Geschwindigkeitsbegrenzer, Spurassistent, City-Notbremsfunktion), modernisierte
Radios/Navis, wird zudem leichter und sparsamer, zum Teil auch schneller - was will man mehr, mag man fragen.
Nun, bei einem neuen Golf erwartet man Kontinuität, zeitloses Design, klassenlosen Auftritt und mindestens eine Prise
Perfektion - all das mithin, was die Mitbewerber, für sich genommen oft keine schlechten Autos, eben nicht bieten. Doch
umso länger man sich mit dem neuen Golf beschäftigt, umso mehr findet man auch die nicht perfekten Seiten. Unsere Auswahl:
Das
Dreiecksfenster vor dem nun stehenden Außenspiegel geht gar nicht, wie man umgangssprachlich sagt. Es
ist weder typisch Golf noch typisch VW, es sieht bescheiden aus, schränkt den Gemütlichkeitsfaktor im Innenraum ein und bietet keinerlei
nachvollziehbaren Existenzgrund. Und möge VW nur ja nicht erklären, das Fensterchen diene der besseren Übersichtlichkeit: Dafür
ist es zu klein, und wenn man das Thema ernsthaft beackert hätte, dann hätte man konsequenterweise auch auf die gegenüber dem
Vorgänger flachere Ausführung der A-Säulen verzichten müssen, die überdies dem Raumgefühl nicht gut tut, ganz so wie die
tiefere Sitzposition. Hatten Auto-Kenner nicht immer Autos außerhalb des Van-Bereichs mit vorderem
Dreiecksfenster als "nicht weiter ernstzunehmen" abgetan?
In Sachen Design stört außerdem die nicht vertikal zentriert auf dem Kühlergrill angebrachte
Chromleiste. Hier
wollten die Designer wohl um jeden Preis eine optische Verlängerung durch den Scheinwerfer erreichen - und nehmen hierfür sogar wieder
eine Spielart des vielgescholtenen
Tränensacks am Scheinwerfer in Kauf. Der Blinker hinter einem Mattglas
stand schon dem Golf V nicht, die kolportierte Orientierung am
feinen Golf IV ist hier jedenfalls nicht
sichtbar. Wie das Tagfahrlicht (TFL) aussieht, zeigt VW ärgerlicherweise noch nicht; man hört, Modelle ohne Xenon-Licht trügen schönere
Scheinwerfer mit wieder innenliegendem Halogen-TFL.
Apropos Licht: Bisher gab bei VW immer eine positive Zwangskoppelung von Xenon-Scheinwerfern an Kurven-, Abbiege- und
LED-Tagfahrlicht; die Wolfsburger waren damit Audi, BMW und Mercedes voraus. Nun plötzlich wird das Kurven- und auch das
LED-TFL selbst im Topmodell "Highline" (Xenon Serie) aufpreispflichtig, womit die Kombination von Golf und LED-TFL dann
noch seltener werden dürfte als bisher schon. Das ist, trotz leichter Preissenkung, ein Rückschritt. Und: Dass das Schwestermodell
Seat Leon sogar optional Voll-LED-Scheinwerfer bekommt, der Golf aber nicht, lässt nur zwei
Deutungsmöglichkeiten zu: Entweder taugt die Technik noch nichts, oder das Marketing macht hier eine große Rolle rückwärts.
Das
Abbiegelicht weiterhin im Nebel- statt im Hauptscheinwerfer unzterzubringen, ist ebenfalls eine
Billig-Lösung, die die Straße schlechter ausleuchtet und im Betrieb bei anderen Autos störend wirkt, zumal sie wohl wieder
nicht an den Lichtsensor gekoppelt ist und also auch bei Tageslicht und eingeschaltetem Abbiegelicht sinnlos vor sich hinfunzelt.
Ein Opel Astra kann das besser.
Die
Rückleuchten verfügen zwar wohl endlich wieder über zwei Rückfahrscheinwerfer und zugegeben auch über ein
markanteres Innenleben, dafür sucht man LEDs hier vergebens - jene Technik, die jeder alte Golf Plus hat, die es im Golf VI wenigstens optional
gab und die bei Mitbewerbern wie etwa im
Seat Ibiza zum Teil schon eine Klasse tiefer angekommen ist. Wenn VW auch
beim Golf VII hoffentlich wieder auf ein Facelift verzichtet, wird das Heck in fünf Jahren im Wettbewerbsvergleich ganz schön alt wirken.
Übrigens gibt es auch eine LED-Kennzeichenbeleuchtung nur noch als Nachrüst-Zubehör, während diese beim Golf VI für läppische zehn Euro
mitbestellbar war.
In technischer Hinsicht nervt das Festhalten am
5-Gang-Getriebe für die kleineren Motoren. Das mag theoretisch
und auch im Normtest eine Verbrauchsreduktion bedeuten, doch die Mehrheit der Käufer wäre sicher dennoch lieber mit einem drehzahl- und
geräuschsenkenden 6. Gang unterwegs. Und man mag fragen, warum die Motoren nicht nach dem Abgasstandard EU6 eingestuft sind. Wenn
Mercedes das kann, kann VW das auch, sollte man denken. Nur für den 140-PS-TSI haben die Wolfsburger bisher
erklärt, dass dieser EU6-konform sei; tatsächlich ist er als EU5 gelistet - wahrscheinlich kann man später umschlüsseln. Überhaupt ist es
schade, dass zum Marktstart
so wenige Motorisierungen zur Wahl stehen; hier werden potentielle Kunden unnötig abgeschreckt.
Ein Rückschritt ist auch die
Verbundlenkerachse, die in den schwächeren Modellen die mit dem Golf V mit
viel Stolz eingeführte Mehrlenkerachse verdrängt - die Controller haben über die Ingenieure gesiegt. Die Grenze zieht VW insoweit bei
122 PS - ein Motor, der das Auto durchaus flott auf hohes Tempo bringt und die seit Jahren verbaute bessere Konstruktion verdient hätte.
(Korrektur: Die Grenze liegt nach neueren Angaben bei "exklusive 122 PS" - die schlechtere Achse wird also bis einschließlich 110 PS verbaut).
Ebenfalls ärgerlich trotz gesenkter Verbrauchswerte ist der auf 50 Liter
verkleinerte Tank und die damit in der Realität meist
geringere Reichweite; da hilft auch die formschöne neue Klappe nichts. Für ein paar Kilo und Zentimeter weniger müssen Hunderttausende
von Golf-Fahrern öfter zur Tankstelle.
Undurchsichtig bleibt das Thema
Gewichtsreduktion. Bis zu 100 Kilogramm hat Volkswagen insoweit kommuniziert,
was ein toller Wert ist - respektive wäre. Im Katalog war zunächst von bis zu 80 Kilogramm die Rede, inzwischen wurde das Dokument auf 100 kg
geändert. Im direkten Vergleich der alten und neuen technischen Daten fällt der faktische Fortschritt noch viel geringer aus als der beworbene.
So kommt der Golf VII laut VW-Website etwa als dreitüriger 1,2 TSI mit 85 PS auf 1.205 Kilogramm Leergewicht (nach Richtlinie, inkl. 68-kg-Fahrer,
sieben Kilo Gepäck und 90% Tankfüllung). Beim Vorgänger lautet der entsprechende Wert 1.229 Kilogramm - nur 24 mehr.
Am bisher nicht inbegriffenen BMT-Paket mit Start-Stopp-System, anderer Batterie und dergleichen liegt es offenbar nicht, denn beim 1,6 TDI
mit 105 PS stehen mit BMT 1.295 Kilo beim neuen 1.318 Kilo beim alten gegenüber, mithin 23 Kilo Differenz. Mit 7-Gang-DSG wächst diese auf
27 Kilo, obwohl doch gerade das DSG angeblich nicht verändert wurde. Beim 2,0 TDI weisen die Datentabellen sogar nur 12 Kilo Unterschied aus.
Wie die 100 Kilo zusammenkommen, bleibt also offen - womöglich hat das Marketing alle zusätzlichen Serienextras großzügig eingerechnet.
Der Innenraum wirkt grundsätzlich hochwertig und angenehm und erfreut mit dem Festhalten an den kleinen 270-Grad-Uhren anstelle der
Digitalanzeigen wie im Audi A3. Ob die zum Fahrer geneigte Mittelkonsole ein Fortschritt ist, bleibt Geschmackssache - wir würden das
eher verneinen, Beifahrer sowieso. Die
vier Luftausströmer, die allesamt unterschiedlich geformt sind,
versprühen alles, nur nicht den ruhigen Geist eines Golf IV oder VI.
Dies gilt auch für die
Tastenanordnung an den
Radio- und Navigationsgeräten, die gewollt wirkt. Schade ist
zudem, dass die Systeme nur leicht und nur zum Teil günstiger geworden sind - 710 Euro für das Basis-Navi sind viel Geld in Zeiten, wo es passable Smartphones
für 99 Euro und Tablets für 200 Euro gibt. Während das "große" und über 2.300 Euro teure Navi mit einem 8-Zoll-Bildschirm (bisher 6,5 Zoll) erfreut, beträgt die
Steigerung darunter nur 0,8 auf 5,8 Zoll.
Der Tempomat im Blinkerhebel war beim Golf VI keine perfekte Lösung, aber anstatt ihn in einen separaten Lenkstockhebel auszulagern wie
bei Mercedes oder im VW Passat, hat VW versäumt. Stattdessen sitzt er nun im
Multifunktionslenkrad, das als
überladen und optisch deutlich weniger schön als bisher gelten muss und dass VW, weil es auch ohne Tempomat erhältlich ist, in zwei
Versionen bauen und lagern muss.
Dass sich der neue Golf in Sachen Laderaum und Rückbank so
wenig flexibel zeigt - mehr als geteiltes Umklappen der
Rückbank ist nicht vorgesehen -, erscheint einerseits verständlich, weil dies den Golf Plus auszeichnen soll, andererseits aber auch schade,
ist doch der Golf Plus für viele Kunden schon aus Imagegründen keine ernstzunehmende Alternative.
Und es gibt noch mehr Dinge, die stören: Beispielhaft die
billige einfache Türrasterung per Band anstelle der zweifachen "Nasen"-Rasterung, die
ergonomisch und optisch
verschlechterte Position der Fensterheber- und Spiegelverstellung, die weiterhin
nicht
lieferbaren Optionen Sitzklimatisierung, Windschutzscheibenheizung, geräuschdämmendes Glas, automatisch abblendende Außenspiegel, Chromeinfassung
der Fenster und Ausstiegsleuchten (Serie beim Golf IV) - und nicht zuletzt das nun
hängende Gaspedal. Die beiden
Vorgänger hatten noch das stehende Gaspedal, das nicht nur wesentlich schöner aussieht, sondern auch besser bedienbar ist und der Fußermüdung vorbeugt.
Weil es Bestandteil des Modularen Querbaukastens ist, werden alle künftigen VW bis hin zum Passat diese Primitivlösung erhalten.
Für sich genommen mag der ein oder andere Kritikpunkt nicht schwerwiegend sein, insgesamt aber sind wir überrascht, dass so
viele zusammengekommen sind, zumal die
Preise des neuen Golf ausstattungsbereinigt zwar sinken, aber
doch längst nicht in dem Umfang, in dem VW bei der Produktion spart. Deswegen wird die geplante Bestellung auch erst einmal auf Eis gelegt.