Wer beim Auffahren auf die Autobahn keine Lücke findet, darf die Beschleunigungsspur nicht eigenmächtig "verlängern",
indem er einfach auf dem Standstreifen weiterfährt. Das hat das Landgericht Gießen in einem vom Anwalt-Suchservice
mitgeteilten Urteil entschieden.
In dem zugrundeliegenden Fall hatte ein Autofahrer versucht, auf die Autobahn aufzufahren. Wegen des starken
Verkehrsaufkommens gelang es ihm nicht, sich einzufädeln, bevor die Beschleunigungsspur zu Ende war. Er fuhr deshalb
auf dem Standstreifen weiter und wartete auf eine Gelegenheit, um von dort auf die rechte Spur zu gelangen. Auf dem
Standstreifen befand sich aber ein Wartungsfahrzeug, das gerade zurücksetzte. Obwohl es seine Warnbeleuchtung
eingeschaltet hatte, erkannte der Pkw-Fahrer das Hindernis zu spät und prallte mit ihm zusammen.
Später verklagte der Mann das Land, in dessen Auftrag das Streckenkontrollfahrzeug unterwegs gewesen war, auf
Schadenersatz. Er vertrat die Ansicht, das Gefährt habe auf der Autobahn nicht rückwärts fahren dürfen. Die Klage vor
dem Landgericht Gießen hatte jedoch keinen Erfolg (Urteil vom 04.06.2003;
- 1 S 38/03).
Straßenwartungsfahrzeugen, so die Richter, sei es erlaubt, den so genannten Standstreifen zu benutzen. Auch das Verbot
des Rückwärtsfahrens auf Autobahnen, das sich nicht nur auf die Fahrbahn, sondern auch auf den Standstreifen erstrecke,
gelte für zurücksetzende Streckenkontrollfahrzeuge nicht.
Demgegenüber zähle der Standstreifen für die übrigen Verkehrsteilnehmer nicht zur Fahrbahn, sondern sei nur für das Halten
in Notfällen bestimmt. Ein Notfall habe hier nicht vorgelegen. Selbst wenn dem Pkw-Fahrer ein Auffahren auf die Autobahn
unter Ausnutzung der regulären Beschleunigungsspur nicht möglich gewesen sein sollte, rechtfertige dies keinesfalls, die
Beschleunigungsspur auf dem Standstreifen zu "verlängern", um sich von dort aus einzuordnen. Ungünstigstenfalls, so die
Richter, hätte der Mann am Ende der Beschleunigungsspur stehen bleiben müssen, um eine Lücke im fließenden Verkehr
abzuwarten. Der Pkw-Fahrer habe sich nicht nur verbotswidrig, sondern auch äußerst leichtsinnig und unaufmerksam verhalten.
Das zeige sich daran, dass er das Streckenfahrzeug trotz eingeschalteter Warnblinkanlage und Rundumleuchten zu spät
erkannte. Ihn treffe die alleinige Haftung für den Unfall.