Mangelndes Engagement führt zu schwacher Nachfrage / E-Mobilität im Fokus
Volkswagen verabschiedet sich vom Erdgas-Antrieb
Andere Zukunftspläne, mauer Kundenzuspruch, halbherziges Engagement – die Gründe für das Aus der Erdgas-Technik im Volkswagen-Konzern
sind vielschichtig. Die an sich umweltfreundliche Antriebsart dürfte damit wie das Flüssiggas-Pendant endgültig gescheitert sein.
Škoda
Der VW-Konzern will sich aus der
Erdgas-Technologie zurückziehen
Mit der kürzlich bei einer Führungskräftetagung in Berlin erklärten Entscheidung von Volkswagen-Chef Dr. Herbert Diess begann das Ende der Erdgas-Technologie
im Konzern. Damit vollzieht der Autobauer eine 180-Grad-Wende. Denn bisher war stets davon die Rede, den gegenüber Benzinern und Dieseln effizienteren und
umweltverträglicheren Verbrennungsmotor mit Gas weiter entwickeln und auch im Marketing pushen zu wollen.
Besonders die spanische Marke Seat hatte zuletzt eine Modell-Offensive gestartet und die Ausweitung der Produktionskapazitäten im Heimatwerk Martorell angekündigt.
Mit dem kleinen SUV Arona brachte Seat vergangenes Jahr das erste CNG-Auto dieser Fahrzeugkategorie auf dem Markt. Noch im Februar hatte der Deutschland-Geschäftsführer
Bernhard Bauer gegenüber Journalisten bekundet, weiter auf die Technologie setzen zu wollen.
Vor rund 120 seiner Manager hat Herbert Diess jedoch unmissverständlich andere Prioritäten gesetzt. Investitionen in die Brennstoffzelle und andere alternative Antriebe
betreibe Volkswagen "auf Grundlevel", wird der Konzernchef zitiert. "Wir brauchen die volle Konzentration auf den Durchbruch der Elektromobilität", so Diess.
Volkswagen müsse der Gefahr entgegenwirken, sich bei seiner Fahrzeugentwicklung zu verzetteln. Freilich weiß auch der VW-Vormann, dass die Fokussierung auf
Batterieantriebe ihre Tücken hat. In der jüngsten Vergangenheit mussten etwa Audi und Mercedes mangels Verfügbarkeit von Batteriezellen ihre E-Auslieferungen drosseln.
"Compressed Natural Gas" (CNG) gilt nach einem ADAC-Vergleich als umweltverträglichster fossiler Brennstoff. Darüber hinaus gibt es verschiedene Verfahren, den
hauptsächlich aus Methan bestehenden Energieträger synthetisch herzustellen. Noch vor wenigen Monaten hatte Volkswagen bei einer Veranstaltung in Berlin eine
Passat-Limousine vorgestellt, die als CNG-PHEV Erdgas- und Elektroantrieb miteinander verbindet. Doch offensichtlich standen die Entwicklungskosten für den
Prototypen in keinem Verhältnis mehr zur Akzeptanz von Erdgas-Anrieb am Markt. Zuletzt bot der Konzern in verschiedenen Marken 19 CNG-Modelle an. Allerdings
war der Absatz in den vergangenen Jahren trotz einiger Verbesserungen bei den Modellen höchst überschaubar.
"Es kommt beim Kunden nicht so richtig an", sagt Entwicklungsvorstand Dr. Frank Welsch. Dazu dürfte beigetragen haben, dass der Ausbau der Tank-Infrastruktur seit
Jahren stockt. Zwar wollte sich VW aktiv an der Behebung dieses Mangels beteiligen, was jedoch nicht ansatzweise mit der selben Kraft geschah, mit der jetzt der Schalter
zur Elektromobilität umgelegt wird. Das Netz der CNG-Zapfstellen in Deutschland ist keineswegs engmaschiger geworden und stagniert bei rund 900. Es zeigt sich das
bekannte "Henne-Ei-Problem": Kunden bleiben zurückhaltend, weil die nächste Tankstelle mitunter viel weiter entfernt ist, als sie es für ihr individuelles
Fahrprofil benötigen. Gleichzeitig investieren Tankstellenunternehmen nicht in Erdgas-Anlagen, weil die eine Mindestmenge an täglichen Tankvorgängen brauchen,
um wirtschaftlich betrieben werden zu können.
Dazu kam ein entgegen der Verlautbarungen auch beim Produkt verhaltenes Engagement und Marketing seitens des Herstellers. 130 PS im Golf beispielsweise reichen
nicht jedem, der Aufpreis von 3.000 Euro ist hoch, die Einschränklungen bei Individualisierungsmöglichkeiten sind ärgerlich. Viele Baureihen wie u.a. T-Roc,
Passat/Superb, Tiguan/Kodiaq/Tarraco, Ateca/Karoq und nicht zuletzt der Touran blieben außen vor.
Offenkundig handelt es sich bei der Wolfsburger Entscheidung um ein rein unternehmens-ökonomisch motiviertes Ermessen. Die durch den Verzicht auf Neu-Entwicklungen
freiwerdenden Mittel – die Rede ist freilich nur von einem zweistelligen Millionenbetrag – werden nun wohl in die Elektromobilität fließen. Die derzeit angebotenen
CNG-Modelle, zum Beispiel Golf Variant, Audi A5 Sportback oder Skoda Scala, bekämen "keinen Nachfolger mehr", so Entwicklungschef Welsch. Industriepolitische oder
volkswirtschaftliche Überlegungen haben bei der Abkehr vom Erdgas mutmaßlich keine Rolle gespielt. Zulieferer werden ihre Kapazitäten zur Herstellung von
Motorteilen oder Abgasanlagen entsprechend anpassen müssen, wenn auch herkömmliche Verbrenner großflächig durch E-Autos ersetzt werden.
Dr. Timm Kehler, Vorstand der Brancheninitiative "Zukunft Erdgas", ist nicht begeistert von den Neuigkeiten aus Wolfsburg: "Wir bedauern die Entscheidung von
Volkswagen sehr, die von vielen Experten als besonders umweltschonend bewertete Antriebsalternative einzustellen." Auslöser für den Schritt sind seiner
Meinung nach die neuen EU-Vorschriften zum Klimaschutz für Fahrzeughersteller und die verschärften Grenzwerte für CO2-Emissionen. Bei Nichteinhaltung drohen
ab 2021 massive Strafzahlungen, welche für Konzerne wie Volkswagen auf Milliardenhöhe steigen würden. Dass die Hersteller versuchen könnten, die Zahlungen
durch Preisanhebungen für ihre Autos an die Kunden weiterzugeben, gilt als wahrscheinlich. Mit Biogas oder synthetischem Gas im Tank fahre man aber
bereits heute nahezu klimaneutral, heißt es von Seiten des Erdgas-Verbandes. Die EU-Vorschrift zum CO2-Ausstoß verkenne dieses Potenzial.
Die Auswirkungen des CNG-Stopps werden allerdings wohl erst in einigen Jahren spürbar. Auch die neuen Generationen von Audi A3 und VW Caddy sollen mit
Erdgas-Motor zu haben sein. Und Seat will seinen neuen Leon, dessen Publikums-Premiere der Absage des Genfer Autosalons zum Opfer fällt, angeblich ebenfalls
mit einem CNG-Aggregat auf den Markt bringen. Die Entscheidung aus Wolfsburg wollte man allerdings in der
deutschen Seat-Zentrale in Weiterstadt inhaltlich
nicht kommentieren.
Anzunehmen ist, dass nach der jetzigen Abkehr - auch wenn sie nicht offiziell kommuniziert wurde - das Käuferinteresse nochmals nachlässt und damit manche
Neuanläufe gestrichen werden. Dass Erdgas als Pkw-Antrieb in Deutschland noch eine Zukunft hat, sollte man nun sowieso nicht mehr annehmen, wenn sich
ein Anbieter mit über 35 Prozent Marktanteil zurückzieht.