Autokiste
Nicht perfekt,
aber gut: Renault Scénic
Renault bietet im Scénic nicht nur einen neuen Dieselmotor an, sondern erstmals in der Firmengeschichte
auch ein Start-Stopp-System. Im Redaktionsbetrieb hat die neue Technik gut gefallen – im Gegensatz
zu manch anderen Details des Kompaktvans. Fahrbericht.
Man sollte nicht so lange arbeiten. So aber findet die erste Begegnung mit dem Renault Scénic kurz vor Mitternacht
statt, und dass es dabei auch noch regnet, ist nicht der Dramaturgie geschuldet, sondern dem Wetter. Hervorragend ist
es, wenn das Auto dann dank Keyless Go sofort die Türe entriegelt, ohne dass man auf der Keycard etwas drücken müsste.
Weniger hervorragend ist, wenn der vorherige Fahrer die Innenbeleuchtung abgeschaltet hat - wie kommt man eigentlich
auf so eine Idee? -, und man versucht, sich zurechtzufinden. Einfach das Licht anzustellen geht nicht, denn jenen
vernünftigen, weil intuitiven Drehschalter, den man von deutschen Fabrikaten kennt, hat irgendein Renault-Controller
gestrichen.
Doch selbst wenn das Licht über den Blinker-Lenkstockhebel eingeschaltet ist, man verstanden hat, wie die Nebelleuchten
an uns aus gehen (der entsprechende Schalter rastet nicht ein), ist es im Scénic ungewohnt dunkel. Hinter dem Lenkrad
jedenfalls ist nicht ein Lichtlein zu sehen, denn die Instrumente sitzen gänzlich in der Mitte des Armaturenbretts.
Das ist eine ungewöhnliche Lösung, und man darf vorwegnehmen, dass sie auch Tage später keinen Spaß macht.
Zuerst aber geht der Ärger weiter: Die Wischer rubbeln übel, und das ist ihnen am nächsten Tag auch nicht mit viel
Waschwasser und einem Entfettungstuch für die Scheibe nicht abzugewöhnen. Ob es sich dabei um einen
Konstruktionsfehler handelt oder die Wischer am wenigen Monate alten Testwagen schon so in Mitleidenschaft gezogen
waren, ließ sich nicht endgültig feststellen. In der Nacht aber nerven zunächst weitere Bedienschwächen: Die Tasten auf dem
Lenkrad sind tatsächlich nicht beleuchtet und steuern den Tempomaten nur, wenn man an völlig anderer Stelle zunächst einen
Kippschalter betätigt, der Wischerhebel hat eine eigene Logik, und der Bediensatellit rechts unten am Lenkrad mag nach
vier Monaten gut zu nutzen sein - nach vierzehn Tagen ist es das Gebilde, das rechts drei Knöpfe, zwei weitere oben, einen
unten, außerdem auf der Rückseite (!) einen Drehregler und, nun ja, noch zwei Tasten hat, immer noch nicht. Überflüssig
zu erwähnen, dass auch hier die Beleuchtung fehlt?
Instrumentierung und Bedienung als Ärgernis
Noch ein Wort zu den Instrumenten: Sie sind subjektiv alles, nur keine Augenweide, sie sind objektiv wegen der ausschließlich digitalen
Geschwindigkeitsanzeige nicht intuitiv ablesbar, und dass man ihr Darstellungsdesign per Tastendruck ändern kann, wäre
nur dann eine schöne Idee, wenn die Software-Designer wenigstens eine sachliche, klare Darstellung vorgesehen hätten.
Auch hinsichtlich des Bordcomputers könnte man seitenweise die Unzulänglichkeiten in Sachen Bedienung und Darstellung
darlegen; beides ist, um es kurz zu machen, eine einzige Katastrophe. Man mag VW langweilig finden, aber in solcherlei
Hinsicht sind selbst zehn Jahre alte VW-Modelle den aktuellen von Renault weit voraus. Und, liebe Renault-ler, solch
plakativ-primitiven-unfranzösischen Schriftzüge im Innenraum wie "AIR QUALITY SENSOR" und "TFT DISPLAY" müssen nicht sein.
Weder Komfortblinken noch Blinken bis zum Ende der Frequenz kennt der Scénic, das unharmonische Blinkgeräusch
dürfte darüberhinaus den unschönen Trend zum Nichtblinken befördern. Parklicht (einseitiges Standlicht) sucht
man ebenfalls vergebens, und wer Lichthupe "gibt", muss wegen der dämlichen Schalterkonstruktion damit rechnen,
anschließend ungewollt mit Fernlicht durch die Gegend zu fahren - ganz so wie einst im Golf II, vor 25 Jahren.
Am Tag drei findet man denn auch endlich die Sitzheizung: Das Rändelrad befindet sich uneinsehbar am Sitz selbst,
und das wird an Dämlichkeit nur noch durch die grelle orangefarbene Kontrollleuchte im Tacho übertroffen:
Eine
- einzige! - Leuchte signalisiert die
drei Heizstufen tatsächlich gemeinsam für
zwei Vordersitze.
TomTom-Navigation mit Bedien- und Sprachschwächen
Auch Radio und das Navigationssystem weisen ähnliche Schwächen auf. Letzteres stammt von TomTom, erfreut gegen überschaubares
Extra-Geld mit Live-Meldungen, tagszeitabhängiger Routenführung und Google-Suche, bietet eine ordentliche Kartendarstellung,
zeigt aber auch, dass ein für Touchscreens konzipiertes System eher ungeeignet für eine Bedienung per entferntem Controller
und neun Tasten ist. Erstaunt und enttäuscht hat uns aber insbesondere die Routenführung selbst. Wir haben das Gerät fast
durchgehend mitlaufen lassen. Dabei erhielten wir mehrfach
den Hinweis, links abzubiegen, obwohl nur geradeaus gemeint war, wurden wir schon ewig vor einer Kreuzung dazu aufgefordert,
rechts zu bleiben, und mussten wir mit sprachlichen Schludereien leben, die nicht sein müssen.
Bei Renault/TomTom erreicht man nicht sein "Ziel", sondern seinen "Bestimmungsort", je nach ausgewählter Stimme heißt es
auch schlicht "Ankunft, dann Ankunft". Das ist nicht weiter schlimm. Ansagen wie "Fahren Sie über den Kreisverkehr",
"Fahren Sie um den Kreisverkehr" oder - unser Highlight - "Abbiegung rechts vor Ihnen", sind allerdings weniger amüsant
als ärgerlich. Letzteres gilt auch für die hanebüchene Restdauerfahranzeige mit ihren Fünf-Sekunden-Schritten.
Ordentliche Verarbeitung, gute Sitze, feines Keyless-System
Alles nur schlecht also am Renault Scénic? Nein, beileibe nicht. Der Kompaktvan hat zweifelsohne seine gute Seiten,
und dazu gehören Dinge wie die im Testwagen einwandfreie Verarbeitung und das absolut klapper- und knisterfreie Interieur,
bequeme und ansehnliche Sitze mit auch längsverstellbaren Kopfstützen vorne und auch das schlüssellose Zugangs- und
Startsystem, das nicht nur tadellos funktioniert, sondern auch mit einem von deutschen Herstellern bekannten Mangel
aufräumt: Zum Abschließen muss, weil Renault sich um die damit verbundene Sicherheitsproblematik nicht schert, nicht über
den Türgriff gestreichelt werden, was viel vom Keyless-Vorteil eliminiert, sondern das Auto schließt selbsttätig ab,
sobald man einige Meter von ihm entfernt ist. Dass dann die kurz Hupe ertönt, ist praktisch, und es lässt sich auch
deaktivieren, wenn der Eigner etwa Frauenarzt mit Nachtgeburten und sensiblen Nachbarn ist.
Das Platzangebot im Renault Scénic überzeugt ebenfalls. Ganz so viel Kofferraum wie im etwas längeren VW Touran gibt es
nicht, aber fast. Für Familien mit einem Kind dürfte das Laderaumvolumen auch auf Urlaubsstrecken ausreichen, wobei
unverständlich ist, dass der Van kein Trennnetz hinter der Rücksitzbank aufweist. Die drei hinteren Einzelsitze lassen
sich mit dem berühmten einfachen Handgriff längs verschieben, umklappen, hochstellen und notfalls auch ausbauen. Wer
mehr Kinder respektive Platzbedarf hat, greift zum 22 Zentimeter längeren und auch als Siebensitzer lieferbaren Renault
Grand Scénic. Die Heckklappe bietet ausreichend Stehhöhe, unter dem Kofferraumboden findet sich ein großes Fach für
den üblichen Krimskrams.
Apropos Fächer: Über 40 derer preist der Scénic-Katalog an, und wahrscheinlich kann man mit gutem Willen so weit zählen.
Man kann aber auch feststellen, dass es unpraktisch ist, 1,5-Liter-Wasserflaschen in den Türtaschen fast liegend
transportieren zu sollen, und dass Staufächer im Boden prima, ein simples ausgekleidetes Fach für ein Handy und eine
Packung Bonbons oder Taschentücher in der Mittelkonsole aber noch viel toller wären. Ach ja, und falls Sie herausfinden,
wie man einen Isofix-Kindersitz in einen Scénic einbaut, lassen Sie es uns gerne wissen. Mit dem Messer wollten wir
den Sitzen am Isofix-Schildchen nicht zu Leibe rücken.
Motor und Fahrverhalten ohne Schwächen
Und wie fährt er, der Scénic? Nun, Starttaste drücken, der Scénic glüht kurz vor, startet schnell und verfällt sofort
in einen ruhigen, stabilen Leerlauf. Der
neue, mit viel Aufwand entwickelte Motor folgt dem üblichen und letztlich auch
sinnvollen Trend zu weniger Hubraum, dem sogenannten Downsizing. So holt die Maschine aus nur noch 1,6 statt bisher 1,9
Litern Hubraum unverändert 130 PS und entwickelt ein maximales Drehmoment von 320 Newtonmetern bei 1.750 Touren. Der Kompaktvan
ist damit angemessen motorisiert, was bedeutet, dass er in der Stadt, über Land und auch auf der Autobahn nicht das
Gefühl von Verzicht aufkommen lässt - jedenfalls bei einem typischen Kompaktvan-Käufer, der möglichst nicht einen
doppelt so großen Motor gewöhnt war, bevor die Kinder kamen. Der Vierzylinder hängt gut am Gas, gibt sich akustisch
unaufdringlich, und er harmoniert gut mit dem manuellen Sechsganggetriebe, das selbst ebenfalls nicht für Kritik taugt.
In 10,3 Sekunden beschleunigt der Scénic laut Datenblatt auf Tempo 100, maximal sind 190 km/h drin, und erst ab etwa
Tacho 170 wirkt das Ensemble angestrengt. Damit ist der Scénic etwas langsamer als ein 140-PS-Touran, aber die Differenz
ist nicht praxisrelevant, einmal abgesehen davon, dass sich der Testwagen eher nach mehr als nach weniger PS anfühlte.
Unauffälliges Start-Stopp-System
Erstmals bringt Renault zusammen mit dem neuen Motor ein Start-Stopp-System (SSS). Es funktioniert in jeder Hinsicht so wie
die der Mitbewerber - mithin problemlos. Tendenziell eher angenehm als störend ist seine Auslegung, die den Motor nicht erst
bei absolutem Fahrzeugstillstand, sondern schon bei noch leichtem Ausrollen stoppt. Dass bei aktivem SSS manchmal, aber nicht immer
ein entsprechender Hinweis im Display erscheint, hat wieder mit den Bedienschwächen zu tun, siehe oben.
Dafür erspart einem der Renault den Klick aus dem Armaturenbrett, der VW-/Audi-Fahrer nervt. Schade, dass Renault
die neue Technik nicht gleich auch mit einem Auto-Hold-System verknüpft hat, was die Ampelwarterei nochmals entspannter
machen würde: Vermutlich liegt es am Marketing - mit SSS kann man werben und den Flottenverbrauch senken, mit Auto-Hold weder noch.
Die Kombination aus neuem Motor und diesem Start-Stopp-System resultiert in einem Normverbrauch von nur 4,4 Litern, womit
der Scénic tatsächlich sämtliche Mitbewerber auf die Plätze verweist. Im realen Betrieb mit Stadtverkehr dürften es wie
im Testbetrieb über rund 500 Kilometer eher siebeneinhalb Liter werden, aber das ist bei jenen Mitbewerbern "nicht wirklich"
anders.
Das Fahrverhalten gibt ebenfalls kaum Anlass für Meckereien. Federung und Dämpfung bügeln den schlechten Straßenzustand in diesem Land
erfreulich gut aus, die Straßenlage ist auch bei forcierter Gangart überraschend problemlos, das ESP regelt feinfühlig, und die Bremsen
sind ebenso gut dosierbar wie - soweit ohne echten Test überprüfbar - standfest. Lediglich die Lenkung wirkt etwas synthetisch, unterstützt
durch einen Blinker, der subjektiv in engen Kurven zu früh und in weniger engen zu spät abschaltet.
Nervige Details – und pfiffige
Wer sich länger mit dem Scénic beschäftigt, stellt noch mehr kleine, aber durchaus erwähnenswerte Details fest:
Etwa eine Bedienungsanleitung, die stellenweise merkwürdig und andernorts falsch ist, einen aus dem Dachhimmel
ausklappbaren Spiegel zur Beobachtung der Kinder im Fond (Hallo Wolfsburg, lest Ihr mit? Das ist wirklich praktisch!),
ausziehbare Sonnenschutzrollos in den hinteren Seitenscheiben (hallo VW ...?!), die auf Wunsch bei jedem Parken
automatisch anklappenden Außenspiegel (hallo VW, die dritte?!) oder der in der Tankklappe pfiffig integrierte Tankdeckel.
Während der Scénic einerseits mit wertigen Details wie zwei Gasdruckdämpfern für die Motorhaube oder großen
Bügeltürgriffen erfreut, leistet er sich andernorts Schwächen wie die wenig handschmeichlerische, weil tendenziell
scharfkantige Plastikkante am Kofferraumgriff, Spaltmaße, die nach "laisser faire" aussehen, Verzurrösen einfachster
Machart oder willkürlich verteiltes Dichtmittel an Karosseriefugen unter dem Kofferraumboden. Heckleuchten und Karosserie
gehen sich per gelblichem Klebeband aus dem Weg. Hochwertig ist das nicht, aber vielleicht sollte man Autos auch nicht zu
sehr aus fachlicher Sicht beurteilen: Den meisten Kunden dürften solche Details (wohl und leider) schlicht schnuppe sein.
Schnäppchen im Vergleich zum deutschen Marktführer
Womit wir beim Preis anbelangt wären: 25.500 Euro kostet der Renault Scénic dCi 130 Start & Stop Eco2, wie das
Auto mit vollem Namen heißt, was deswegen einerseits recht viel ist, weil die Franzosen den neuen Motor derzeit
nur ab der gehobenen Ausstattungslinie "Dynamique" verkaufen. Andererseits ist der Van aus Paris damit immer noch
3.700 Euro günstiger als der aus Wolfsburg ("Comfortline") - mit einem zusätzlichen Ausstattungsvorteil für den
Renault. Selbst der Testwagen, ein Sondermodell "Bose" mit dem namensgebenden Soundsystem, 17-Zoll-Rädern, Navigation,
Stoff-/Lederpolsterung und weiteren Extras kostet sogar in der Langversion mit 27.500 Euro noch 1.700 Euro weniger als
der Touran 2,0 TDI BMT.
Und spätestens jetzt ahnt man, warum Renault der führende Importeur in Deutschland ist: Man wünscht dem Auto speziell
in Sachen Bedienung fraglos eine gründliche Modellpflege - die wunderbare klare Klimaanlagen-Bedieneinheit könnte als Vorbild
dienen -, muss aber insgesamt konstatieren: Der Scénic ist empfehlenswert, und er ist ein Schnäppchen.
Hinweis: Dieser Artikel entstand gut zwei Monate nach den Testfahrten, weswegen wir hinzufügen wollen, das schon bald die
Facelift-Modelle anrollen. Sie sind optisch etwas schicker geworden, bieten mehr Optionen und eine 110-PS-Version des
neuen Diesels, und sie sind bis auf einige Ausnahmen bei diesem Motor nicht teurer. In Sachen Bedienung ändert sich soweit bekannt nichts.