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Donnerstag, 28. März 2024
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Äußerlich sehr zurückhaltender Kompaktsportler mit 280 PS ab 33.000 Euro

Unterwegs im Seat Leon Cupra: Fahrspaß trifft Understatement

Autokiste
Power satt, Zurückhaltung pur:
Seat Leon Cupra mit 280 PS
Als Gegenstück zum Golf R hat Seat den technisch verwandten Leon Cupra auf die Räder gestellt. Der ist kaum langsamer, aber wesentlich günstiger – und bietet die seltene, höchst angenehme Mischung aus viel Fahrspaß und viel Understatement. Fahrbericht. Der Mann im Düsseldorfer X5 kotzt, denn er glaubt, er parkt. Natürlich nicht tatsächlich, aber sprichwörtlich, und das nicht zu knapp. Wir haben gerade eine Autobahnbaustelle im Großraum Frankfurt hinter uns gelassen, das feine weiße Schild mit den schrägen Linien verheißt "freie Fahrt für freie Bürger", und das will er so genießen wie wir. Aber er kann nicht, denn der aus seiner Perspektive kleine Wagen mit dem merkwürdig zwischen weiß, grau und hellblau changierenden Lack - er zieht einfach vorbei.

280 PS stecken unter der Haube unseres Seat Leon Cupra, und sie wollen galoppieren. So treiben sie die recht schmächtige Fuhre mit mehr als ordentlichem Bums voran, und auf der Autobahn merkt man auch nicht, dass die Pferdchen vorne zerren anstatt hinten zu schieben, wie sich das für leistungsstarke Autos eigentlich gehört. Der Zweiliter-Motor ist im VW-Konzern weit verbreitet und treibt dort etwa den zu Recht viel gerühmten Golf GTI an. Mit ihm haben manche Kollegen den Leon Cupra verglichen und den Spanier dabei gewinnen lassen, was aber angesichts der maximal 230 PS im GTI grenzwertig erscheint.

Natürlich ist der Golf R mit 300 PS der eigentliche Konkurrent, und letztlich sind die beiden nah beieinander. Klar: Der Golf ist auf dem Papier und auch auf der Straße noch einen Tick schneller, schon weil die Konzern-Hierarchie das anders nicht duldet, doch praxisrelevant sind die Unterschiede nicht. Selbst der im Golf vorhandene und im Seat eingesparte Allradantrieb wird nicht vermisst - genauer: nicht so sehr wie befürchtet.

Wer den Cupra oft um enge Kurven scheucht oder bei Nässe nicht zurücksteckt, kommt um das konzeptbedingte Traktionsproblem nicht herum und wird guter Freund des Reifenhändlers; wer es aber auch nur ein bisschen sanfter angehen lässt, wird erfreut feststellen, wie gut die Ingenieure das Fahrwerk abgestimmt haben und wie effektiv die mechanische Differentialsperre XDS ihrer Aufgabe nachkommt. Der Leon zieht auch dank der adaptiven Fahrwerksregelung DCC so unbeeindruckt stoisch seine Bahnen, dass man selbst umso beeindruckter ist. Zudem bremst das Auto bärenstark und lässt sich mit der Progressivlenkung wunderbar präzise dirigieren.

Auf unserer Ausfahrt gefällt der Cupra nicht nur durch seinen bärigen Schub, sondern auch durch ordentliche Manieren - jedenfalls dann, wenn man als Fahrprofil nicht den Cupra-Modus wählt, der im 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe des Testwagens stets mindestens einen Gang zu hoch fährt und einen nach (spätestens) fünf Minuten nervigen, übertriebenen Soundgenerator die Geräuschkulisse verstärken lässt. Das ist kindisch, ein Vierzylinder klingt nun mal nicht nach 911 oder Bigblock.

Im normalen, auch individuell zu konfigurierenden Modus dagegen ist der Cupra höchst angenehm zu fahren - und man erinnert sich der einstigen Porsche-Werbung, mit einer zweistelligen PS-Zahl entspannt unterwegs zu sein, so lange man nur weiß, genügend Reserven mit sich zu führen. Sprich: Oft reicht es schon, zu wissen, dass man ja könnte, wenn man nur wollte. Im Cupra ist man gefühlt viel entspannter unterwegs als etwa im gewiss nicht langsamen 1,8 TSI, den wir als hektisch empfunden haben - oder auch als im viel unruhigeren Ibiza Cupra.

Wer den Gasfuß tatsächlich senkt, bekommt unmittelbar schiere Leistung serviert und sieht dabei die Nadel des Drehzahlmessers fast so zucken wie beim Einschalten der Zündung. Wer sich den Spaß öfter gibt, wie man das etwa auf einer Testfahrt tut, darf sich nicht wundern, wenn die Verbrauchsanzeige fast so schnell emporschnellt wie der Drehzahlmesser und das Dreifache des Normwerts (6,4 Liter, DSG) erreicht. Im realen Alltagsbetrieb dürfte man mit zehn Litern über die Runden kommen. Dann muss man halt darauf verzichten, sich in 5,7 Sekunden auf das Bundesstraßen-Tempolimit katapultieren zu lassen oder schon kurz nach Ende des Beschleunigungsstreifens die 200er-Marke zu erreichen. Eine passende Strecke vorausgesetzt, geht es anschließend immer noch merklich weiter, bis bei 250 km/h nicht etwa die Fahrwiderstände dem Vortrieb ein Ende bereiten, sondern die Elektronik sanft eingreift. Dass der Tacho 300 Sachen verheißt, ist vor diesem Hintergrund peinlich.

Es ist zusammen mit dem Kunstsound eine der wenigen Peinlichkeiten, die sich das Auto leistet. Im Gegenteil: Wer viel Motorpower unauffällig bewegen will, wird den Cupra lieben. Seat hat im Gegensatz zu fast allen Mitbewerbern darauf verzichtet, das Auto an allen Seiten optisch auf Krawallmacher zu züchten und dabei selbst den angeblich so zurückhaltenden Golf R in vorbildlicher Weise unterboten. Nicht einmal Schwelleraufsätze gibt es, die Schürzen sehen kaum anders aus als beim weit verbreiteten Leon FR, und die 19-Zöller passen unter die normalen Radhäuser. Den vergrößerten Dachkantenspoiler werden nur jede Markenfans bemerken, die auch mit dem Leon-freien Schriftzug Cupra auf dem Kofferraum etwas anfangen können. So viel Understatement haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Schade: Kurvenlicht und Nebelscheinwerfer hat Seat nicht auf dem Zettel.

Auch im Interieur vermag der Cupra zu gefallen, weil das Leon-typische Ambiente, das nicht ganz so edel ist wie im Golf, aber optisch und funktional völlig in Ordnung geht, nur leicht auf sportiv getrimmt wurde, etwa durch einen schwarzen Dachhimmel. Die Sportsitze sind auf der etwa zweistündigen Ausfahrt so bequem, dass sie es auf langer Strecke sicher auch sind, der Bordcomputer ist hervorragend umgesetzt, und dass dem Leon eine Mittelarmlehne hinten und eine Durchladefunktion fehlen, haben wir schon an anderer Stelle kritisiert. Das serienmäßige Multimediasystem gefällt trotz des etwas kleinen Touchscreens (5,8 Zoll), die Navigationsfunktion liefert Seat für vergleichsweise schmale 480 Euro. Die Handbremse ist manuell umgesetzt, was manchen freuen wird, uns aber stört, weil die elektrische Lösung inklusive der Auto-Hold-Funktion die praktischere ist. Keine Blöße gibt sich der Leon in Sachen Verarbeitung.

Ein überzeugendes Auto also, wenn man grundsätzlich Sinn für die Kombination aus Kompaktwagen und Kraftpaket hat. Bleibt die Frage nach dem Preis, und auch hier fällt die Antwort überzeugend aus. Bei 31.430 Euro geht es los, dann mit "nur" 265 PS. Die meisten Kunden dürften indes nach dem Motto "wenn schon, denn schon" zum PS-Plus greifen, weil dieses für 1.300 Euro Aufpreis zusätzlich 19-Zoll-Räder, schwarze Außenspiegel und ein paar weitere Kleinigkeiten umfasst. 33.000 Euro also, inklusive DCC und LED-Scheinwerfer - wer das viel findet, dem sei unbedingt die Lektüre der Preislisten des 1er-BMW oder des Golf R empfohlen. Letzterer etwa kostet schon von Haus aus 6.500 Euro (jeweils Fünftürer) mehr - und das bei (vom Allradantrieb abgesehen) schlechterer Ausstattung. Davon kann man viel Urlaub machen, (fast) einen Seat Mii zusätzlich anschaffen oder Zigtausende Kilometer tanken.

Klar ist, dass 280 PS unter der Haube mindestens so viel Spaß machen wie sie überflüssig sind - fatal ist, dass man sich an sie so schnell gewöhnt. Wer das nötige Kleingeld für einen Cupra also nicht hat oder aufbringen will, sollte sich die Probefahrt also gut überlegen - und versichert sein: Auch mit dem 1,4 TSI oder dem Zweiliter-TDI im Leon FR kommt Fahrspaß auf. Einen X5 kann man dann zwar nicht ärgern - so what. Dessen Fahrer zog nach einigen verstörten Blicken schließlich Richtung Heimat von dannen. Im obligatorischen Stau am Frankfurter Kreuz dürfte er nicht über die Sinnhaftigkeit von hoher Motorleistung gegrübelt haben, sondern über das Upgrade auf ein neues, noch stärkeres Modell, dem nicht irgendein dahergefahrener Spanier das Wasser reichen kann. Dass der letztlich viel sportlicher ist als sein Dickschiff, wird er dabei getrost übersehen.

Und beim nächsten Mal wünschen wir uns, einen S3- oder R-Fahrer zu verdutzen, wenn er angesichts des braven Looks denkt, ein Leon 1,6 TDI käme von hinten.
text  Hanno S. Ritter
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