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Donnerstag, 28. März 2024
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Gericht: Besondere Umstände beim Überholen mehrerer Fahrzeuge

Urteil: Überholer haftet für Crash mit Abbiegendem

Kollidieren zwei Kraftfahrer, von denen einer gerade abbiegen und der andere überholen will, so ist meist der Abbiegende schuld. Ist der Auffahrende aber nicht unmittelbar hinter ihm hergefahren, sondern hat vor dem Crash erst eine ganze Fahrzeugkolonne überholt, kann es auch umgekehrt sein, wie ein Urteil des Landgerichts Bielefeld zeigt. In dem vom Anwalt-Suchservice mitgeteilten Fall war ein Harley-Fahrer innerorts auf einer Straße unterwegs, auf der Tempo 50 galt. An einer Grundstückseinfahrt wollte er links abbiegen.

Er blinkte, ordnete sich ein, sah in den Rückspiegel sowie über die Schulter und setzte zum Abbiegen an. Drei ihm nachfolgende Pkws verzögerten leicht, um ihm das Fahrmanöver zu ermöglichen. Hinter der kleinen Autokolonne näherte sich jedoch ein weiterer Motorradfahrer. Er überholte die drei Pkw mit 75 km/h - und kollidierte prompt mit der Harley. Deren Fahrer wurde verletzt und sein Motorrad erheblich beschädigt.

Später verklagte er den Überholenden auf Schadensersatz, doch der wollte nicht zahlen. Der Harleyfahrer sei selbst schuld, meinte er, da er unvorsichtig abgebogen sei. Das Landgericht Bielefeld sah das allerdings anders (Urteil vom 14.09.2007; - 8 O 96/07 -). Komme es zwischen einem Linksabbieger und einem Überholer zum Zusammenstoß, so spreche zwar normalerweise der sog. Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Abbiegende seine Sorgfaltspflicht verletzt habe. Anders sei es aber, wenn besondere Unfallumstände hinzukämen, die dagegen sprächen. Das sei zum Beispiel der Fall, wenn der von hinten Kommende dem Linksabbieger nicht unmittelbar folgte, sondern zunächst eine Fahrzeugkolonne überholt habe, bevor er mit ihm kollidierte.

Das, so die Richter weiter, sei hier der Fall gewesen. Es sei ungewiss, ob der Linksabbieger die zum Überholen ansetzende Maschine überhaupt habe sehen können, da die ja zunächst an drei Pkws vorbeiziehen musste, bevor sie ihn erreichte. Ein verkehrswidriges Verhalten sei bei ihm insgesamt nicht festzustellen.

Demgegenüber sei der Überholende nicht nur mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren; er habe zudem auch noch bei unklarer Verkehrslage überholt. Den Umständen nach habe er nicht damit rechnen dürfen, dass das Überholen gefahrlos möglich war, so das Gericht. Denn erstens hätten die drei Autofahrer vor ihm auf freier Strecke plötzlich verzögert, wodurch er hätte gewarnt sein müssen. Und zweitens habe er spätestens nach dem Ausscheren den links abbiegenden Harley-Fahrer sehen können. Er hätte den Überholvorgang daraufhin abbrechen müssen, so die Richter. Dadurch, dass er trotzdem weiterfuhr, habe er sorgfaltswidrig gehandelt.

Im Ergebnis musste der Überholende zu 80 Prozent für den Schaden aufkommen. Der Abbiegende hafte mit den restlichen 20 Prozent für die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs.
text  Hanno S. Ritter
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