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Und andere Sünden aktueller Autowerbungen
Editorial: Peinlichkeiten am laufenden Band bei der BMW-Fernsehsendung
Der Laie wundert sich, der Fachmann findet es offenbar gut - die Rede ist von einigen seltsamen Werbekampagnen
zu neuen Autos, die mir in letzter Zeit negativ aufgefallen sind.
Da ist zunächst Audi. Anstatt den neuen A3 - ein gelungenes Auto - ansprechend in Szene zu setzen, werben die Ingolstädter
in zahlreichen Fernsehspots nicht für das Produkt, sondern für einen Kurz-Film, in dem der A3 eine wie auch immer geartete
Hauptrolle spielt. Den Film soll sich der User auf der Audi-Website anschauen oder herunterladen. Einige werden es getan
haben, aber dass man so wirklich breite Aufmerksamkeit für das Fahrzeug erzeugt hat, darf doch sehr bezweifelt werden.
Noch längst nicht jeder hat den Nerv und/oder die Technik für derlei Spielereien. Ich habe mir den Film und sogar auch
das Making-Of angeschaut, konnte aber eigentlich nichts damit anfangen. Beruhigend zu wissen, dass es auch anderen,
mit denen ich darüber gesprochen habe, nicht anders erging. Unverständlich zudem, dass der Fernsehspot so gar nicht
zur CI von Audi passen wollte und zu dieser Zeit viele Inhalte zum A3 auf der Website noch gar nicht verfügbar waren.
Nächstes Beispiel ist Škoda. Die bauen eine Limousine namens Superb, der es an fast nichts fehlt. Das Auto ist groß,
hat mutmaßlich eine ordentliche Qualität, sehr viel Platz, eine ansprechende Website und vor allen Dingen Preise,
die man woanders leider vergeblich sucht. Eigentlich mangelt es dem Superb neben einem vernünftigen Händlernetz (in ganz
Nürnberg etwa gibt es keinen Škoda-Händler) nur an einem - am Image. Nun, da die tschechische VW-Tochter das Auto in
Printanzeigen und auf Plakatwänden mit Aldi in Zusammenhang bringt, dürfte das Thema Image und damit ein möglicher
steigender Markterfolg wohl endgültig ad acta gelegt werden können. Nicht jeder, der einen preisgünstigen Neuwagen sucht,
findet "Geiz geil" und mag in eine entsprechende Schublade gesteckt werden.
Dem Fass aber endgültig den Boden ausgeschlagen hat BMW. Zur Markteinführung der neuen Fünfer-Reihe hatten sich die
Münchner etwas ganz Besonderes ausgedacht - eine eigene Fernsehsendung nämlich, die am gestrigen Abend parallel auf
den Privatsendern Sat.1 und ProSieben zu sehen war. Wer die zwölf Minuten durchgehalten hat, musste sich wirklich
beherrschen, so peinlich waren die Darbietungen. Dazu gehörten kurze nichtssagende Filmsequenzen früherer Fünfer-Modelle,
die Schauspielerin Katja Flint, die "das Wort Komfort rückwärts buchstabieren" könne, so die Moderatorin, "normalerweise
lieber vorne sitzt", aber dank der ach so großzügigen Platzverhältnisse sich vorstellen könnte, "glatt zum Hinterbänkler"
zu werden, und das alles ebenso gestelzt von sich gibt wie die übrigen Akteure des Abends. Zu ihnen gehörte auch Fritz
Wepper, der "den Wagen braucht, sofort", auch wenn von Derrick weit und breit keine Spur war, und ein offenbar hochbezahltes
Publikum, dass super-gutgelaunt in die Kameras winkt, Luftküsse verteilt und gröhlt oder, kaum dass Sir Elton John seinen
Song antrillert, vor lauter romantischer Rührung mit undefinierbaren Gegenständen im Takt weit hin und her wippt. Ach ja,
der Song mag das Highlight der Sendung gewesen sein, nur wurde Elton John bzw. die Playback-Vorführung hemmungslos
ausgeblendet. Wie gut, dass der Song nun auch im Handel erhältlich ist...
Zwischendrin erklärt ein Kind der Flint die 5er-Bedienung durch einen "einzigen Knopf". Wir lernen: Die Radiobedienung ist
fast wie zu Opas Zeiten, wenn das damals wohl auch nicht fälschlicherweise "Entertainment" genannt wurde, das
Navigationssystem erfordert nach dem "Einstellen" keinen Blick mehr auf "den" Display und blendet dann die Informationen auf
der Frontscheibe ein. Dass verschwiegen wurde, dass beide Systeme Aufpreis kosten, ist da schon eine lässliche Sünde.
Gespielte Begeisterung allenthalben. Schließlich darf die Kamera noch "Rennfahrerlegende" Hans-Joachim Stuck einige Runden
mit dem neuen Fünfer begleiten. Auch der zeigt sich natürlich begeistert von Design, Fahrverhalten, Kurvenlicht und auch
von der Aktivlenkung, die bei Geschwindigkeiten "von 210 km/h und mehr" einfach "super" sei. Vorsichtshalber ist Stuck aber
auch bei niedrigeren Geschwindigkeiten und tagsüber immer mit Nebelscheinwerfern unterwegs.
Dass das ganze moderiert wurde von der promovierten Zahnärztin Katja Kessler, besser bekannt als Klatschreporterin bei
"Bild" und als Co-Autorin für Dieter Bohlens literarische Ergüsse, passt da genau ins Bild. Über die Kosten der Aktion
schweigt sich BMW aus, aber einen zweistelligen Millionenbetrag darf man wohl veranschlagen. Das Geld hätten die Münchner
besser gespendet - oder, weil diese Idee in der Tat etwas vermessen ist, in ordentliche, aussagekräftige, vielleicht lustige
oder sonst unvergessliche Werbung gesteckt, die potentielle Käufer anspricht. Blamabel auch für BMW bzw. die ausführende
Agentur, dass die neu gestaltete Website ausgerechnet gestern Abend mit toten Links, nicht ladenden Seitenbereichen
und einem Popup auf der Startseite, das wiederkehrende Besucher nicht erkennt, ordentlich nervte.
Ausgedacht und umgesetzt haben das "TV-Event", das laut seiner Macher das "kommunikative Highlight" der Kampagne sein soll,
u.a. BBDO Interone, SevenOne Media, Universal Music Group und der Springer Verlag, produziert wurde von Medienkontor
("Sabine Christiansen" u.a.). Die Beteiligten hätten gut daran getan, statt "Infomercial", was dem durchschnittlichen
Fernsehzuschauer mutmaßlich sowieso nicht viel sagt, schlicht "Volksverdummung" einzublenden. Der neue Fünfer, ob man ihn
nun für begehrenswert hält oder nicht, hat einen solch unseriösen, nichtssagenden und peinlichen Einstand jedenfalls nicht
verdient.
"Einer muss in Führung gehen" - aber bitte nicht so. - (hsr)
text Hanno S. Ritter
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