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Beobachtungen beim durchschnittlichen deutschen Autofahrer

Editorial: Ein Tag Straßenverkehr im Winter

Eine Stadt in Süddeutschland am Nachmittag des 13.01.2003. Der Himmel tief grau, die Straßen glatt, teilweise durch Eisbildung unter dem Schnee sogar sehr glatt, es schneit richtig, kurzum: Ein schöner Wintertag. Seit Tagen schon wird vor dem "Wetterchaos" und den zu erwartenden schwierigen Straßenbedingungen in den Medien gewarnt - wobei nicht so recht klar ist, wie normal arbeitende und pendelnde Menschen den dortigen Tipps folgen und plötzlich auf ihr Auto verzichten sollen, oder worin nun konkret der Vorteil zu sehen ist, wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigt. Aber das ist ein anderes Thema.

Die Realität auf der Straße: Die Leute schleichen teilweise mit zehn km/h durch die Gegend. Oft sind das die, die im tiefsten Nebel noch mit 100 Sachen über die Bundesstraße brettern - Denken ist nicht jedermanns Sache. Aber bei Schneefall setzt es bei manchen Leuten komplett aus, und sie werden zum rollenden Verkehrshindernis. Einige von ihnen fahren natürlich auch mit Sommerreifen rum - nicht von jedem Bürger sollte man die Erkenntnis erwarten, dass es an solchen Tagen zum Wechsel schlicht und einfach zu spät ist und Winterreifen (moralische) Pflicht sind, zumal im Süden des Landes. Naja, und die meisten Medien machen über sowas dann auch noch Späßchen, anstatt mal klar zu sagen, dass so ein Verhalten verantwortungslos, gefährlich und schon deswegen einfach dumm ist.

Ach ja, natürlich gibt es auch die, die mindestens so schnell wie bei trockener Straße fahren, weil es ihnen bis jetzt zufällig noch nicht passiert ist, trotz ABS, ESP und Co. im Graben, am parkenden Auto oder - und das ist nun leider wirklich nicht realitätsfremd - im schlittenfahrenden Kind zu landen.

Die schlimmsten sind aber die, die an solchen Tagen ohne Licht unterwegs sind. Gestern war das - mindestens - jeder Dritte (und zwar sowohl in der Stadt als auch außerorts), ein weiteres Drittel hatte Scheinwerfer und teilweise auch Rückleuchten unter dickem Schnee verborgen. Schließlich ist es, ich erwähnte es bereits, mit dem Mitdenken so eine Sache, und einen Kehrbesen während des Winters im Auto zu vermuten, ist bei dieser Fraktion schon deutlich zu viel erwartet. Fahren ohne Licht bei solchen Witterungen ist nicht nur verboten, sondern eben in erster Linie total gefährlich, aber das verstehen die Leute ja nicht - nach dem Motto "Wieso, ich sehe doch alles?". Ja, natürlich, alles - bis auf die entgegenkommenden Fahrzeuge, die sich auch gerade im Blindflug üben. Aber solches Verhalten wird in diesem Land ja in der Regel nicht verfolgt (genauso wie etwa Dauer-Linksfahren auf Autobahnen) - man verdient mit Falschparkern und "Rasern", die sich erdreisten, nachts auf einer vierspurigen innerstädtischen Ausfallstraße 70 km/h zu fahren, offenbar genug.

Ach ja, dass man sein Autodach vor der Fahrt von Schnee befreien sollte, hat sich auch noch nicht überall herumgesprochen - ebenso wenig wie die allmorgendliche Sinnlosigkeit des Motor-Warmlaufen-Lassens. Deren Zahl allerdings nimmt zugegebenermaßen ab - und man kann nur ahnen, dass nicht der Umweltschutz, das Schonen des Motors oder die Erkenntnis, dass es sowieso wenig bringt, die Ursache ist, sondern nur der teure Spritpreis.

Und noch etwas fällt an solchen Tagen ganz besonders auf: Bald jeder zweite sitzt in einem total beschlagenen Auto, kann jedenfalls durch Seiten- oder Heckscheibe kaum durchsehen - und denkt sich ganz offensichtlich nichts dabei. Gebläse, Klimaanlage und Heckscheibenheizung sollten im Jahr 2003 eben nicht nur Standard sein und dazu dienen, beim Nachbarn mit der Zwei-Zonen-Klimaautomatik angeben zu können, sondern auch (sinnvoll) benutzt werden. Aber - egal, auch sowas kostet in Deutschland kein Bußgeld, und bevor man gar nichts mehr sieht, kann man ja mit dem leicht siffigen Vileda-Schwamm, Jahrgang 1992, noch ein bisschen innen auf den seit Fahrzeugübernahme nicht mehr geputzten und im Zweifel mit einer schönen Nikotinschicht versehenen Scheiben herumschmieren und dabei in Schlangenlinien fahren (Hauptsache, das Telefonieren am Steuer ist verboten), so wie es außen der fünf Jahre alte eingerissene Scheibenwischer tut, der natürlich meist im Dauerbetrieb läuft, auch bei nur leichtem Schneefall.

Die Scheibe und der Wischermotor werden es danken, der Autokiste-Redakteur im Auto nebenan kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Nur gut, dass als Ausgleich wenigstens hinten vorsichtshalber gar nicht gewischt wird - wo war noch mal der Schalter, äh, der Innenspiegel? Man muss solchen Leuten im Endeffekt aber dankbar sein: Lieber wischen sie hinten nicht - mit allen Konsequenzen auch für den nachfolgenden Verkehr -, als dass sie versehentlich (schlimmer: absichtlich) die Nebelschlussleuchte(n) anstellen und vorsichtshalber, wenn es das Auto zulässt, auch gleich für die nächsten Wochen eingeschaltet lassen.

Das alles passt zu den Insassen, die, tief eingemummelt in Mantel, Mütze und Handschuhe - selbst Ohrenschützer waren zu sehen -, versuchen, das gleiche Gefühl fürs Autofahren zu haben wie sonst. Was war noch mal mit der Klimaanlage? Manchen gelingt es scheinbar doch mit der Temperierung - wie sonst ist zu erklären, dass sie auch bei Minusgraden mit sperrangelweit offenem Fenster fahren? Boah ey, cool, ey!

Naja, einstweilen genug der Ironie und der Schilderung eines ganz normalen Wintertages auf deutschen Straßen. Ich selbst wenigstens hatte gestern viel Spaß bei dem Wetter, und auch noch eine nette Stelle zum gefahrlosen Driften gefunden ... der Winter hat auch seine schönen Momente, keine Frage. Oder?

Hanno S. Ritter
text  Hanno S. Ritter
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