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Freitag, 19. April 2024
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Kompakt-Van mit hervorragendem Preis-/Leistungsverhältnis und prima Navi

Unterwegs im Dacia Lodgy: Perfekt – auf seine Weise

Autokiste
Praktisch, bezahlbar, gut:
Kompakt-Van Dacia Lodgy
Abgesehen von Mängeln im Bereich der Sicherheit und einem etwas schwammigen Fahrwerk gefällt der Dacia Lodgy im Redaktionsbetrieb auf voller Linie. Mehr Auto fürs Geld gibt es nirgendwo, wobei nicht nur das Platzangebot, sondern auch der moderne Antrieb, die Verarbeitung und vor allem das Navigationssystem überraschend positiv abschneiden. Fahrbericht. "Bäh! Der stinkt!", sagt meine Tochter schon beim Einsteigen in das vorübergehend neue Familienauto – und hat Recht: Kindermund tut Wahrheit kund. Warum der Lodgy stinkt, lässt sich bis zum Ende nicht recht herausfinden, zumal der Grundgeruch beim Fahren immer mal wieder, aber nicht ständig schwallartig verstärkt wird. Vermutlich ist es eine Mischung aus ausdünstenden Kunststoffen, Klimaanlagen-Bakterien und den Schweiß- und Parfüm-Resten der vielen verschiedenen Fahrer des Testwagens.

Nach Überwindung der olfaktorischen Barriere überwiegt dann aber schnell das Positive, denn die Welt entdecken, sprich: rausgucken kann man als Kind aus dem Lodgy fast so prima wie aus einem Škoda Roomster. Niedrige Fenster - bei vielen Marken aus Designgründen inzwischen auf höchstens 1/3 der seitlichen Höhe geschrumpft - sind nicht die Sache des Lodgy, wie er überhaupt dem Grundsatz "form follows function" öfter folgt als dem entgegengesetzten. Und damit ist schon viel gesagt über den Van der rumänischen Renault-Tochter: Er ist keine Augenweide, sogar das wohl biederste Modell in der inzwischen großen Dacia-Familie, aber er ist praktisch.

Wenn die unlängst vom allgegenwärtigen "Tom Grünweg" wiedergegebene, augenzwinkernde These des Kia-Marketing-Chefs stimmt, als Van-Fahrer könne man auch gleich "Don't date me" hinten aufs Auto kleben, dann gilt das für einen Dacia Lodgy also erst Recht. Weniger Image, weniger Sexappeal und weniger Sportlichkeit geht nicht. Es macht nichts, denn die schicken Damen im Audi Q5 strafen einen sowieso mit entweder keinem oder einem leicht angewiderten Blick. Man muss darüber stehen, und man kann es auch, vor allem, wenn man sich klar macht, dass die schwarzen 20-Zoll-Räder dort als Nachrüstlösung schon so viel gekostet haben dürften wie hier das drittel Auto.

Klar, einen Dacia kann man nicht mit einem Audi oder auch VW vergleichen, in kaum einer Disziplin. Es gibt hier keine satt klackenden Drehregler, keine haptischen Erlebnisse am Türgriff und keine hochauflösenden Farbdisplays; die Details, in denen der Lodgy primitiver gemacht ist als der Ringträger, könnten alleine viele Absätze füllen: Angefangen beim hosentaschenunfreundlichen, weil nicht einklappbaren Dacia-Schlüssel, zu dem die Betriebsanleitung offenbar vor dem Hintergrund rumänischer Usancen allen Ernstes rät, ihn nicht zum Öffnen von Bierflaschen zu missbrauchen, über die im Sichtfeld liegenden Scheibenwischer bis hin zur rastenden Sitzlehnenverstellung ist alles einfacher gehalten als gewohnt.

Daran muss man sich gewöhnen, aber man kann sich auch daran gewöhnen - erstens grundsätzlich und zweitens, wenn man sich immer mal wieder den Preis vor Augen führt. 9.990 Euro kostet ein Dacia Lodgy neu, und die Händler können das tatsächlich so liefern. Zehntausend Euro für einen Neuwagen dieser Größe! Das ist kein Schnäppchen, das ist nicht preiswert, das ist so unglaublich, dass man fast vergisst zu erwähnen, dass drei Jahre Garantie auch noch dazugehören, dass Dacia damit trotzdem Geld verdient (und wie zu hören ist entscheidend zum Renault-Ergebnis beiträgt) und dass, last but not least, der Wertverlust auch mangels Rabatten gering ausfällt.

Der Testwagen ist natürlich mit mehr Ausstattung und einem besseren Motor versehen, kostet so als siebensitziger "Prestige" mit 115 PS dennoch gerade einmal 15.730 Euro - inklusive Klimaanlage und Metalliclack. Dafür bekommt man bei Audi höchstens einen Gebrauchten, denn selbst der billigste, zweitürige A1 liegt noch ein durchschnittliches Monatsgehalt über der Dacia-Vorgabe - und passt übertrieben gesprochen in den Lodgy-Kofferraum.
Großes Platzangebot und (un)praktische Siebensitzigkeit
Mit einem satten Radstand von 2,81 Metern bei 4,50 Meter Außenlänge versteht es der Dacia Lodgy nämlich vortrefflich, für Raum zu sorgen. 827 Liter passen beim Fünfsitzer in den Kofferraum, maximal schluckt der Wagen über 2,6 Kubikmeter Ladegut - und damit mehr als jeder Audi. Der bessere Vergleich ist also ein Renault Grand Scénic oder der Marktführer VW Touran: Der Franzose kostet in entsprechender Ausstattung etwa 26.000 Euro, der Deutsche rund einen Tausender mehr - ebenfalls jeweils mit weniger Stauraum.

Die Anschaffung der zusätzlichen Sitze in der dritten Reihe, über die der Testwagen verfügt, sollte man freilich gut abwägen. Das Gestühl nämlich steht im Kofferraum im Weg und schränkt das Ladevolumen erheblich ein. Es lässt sich auch nicht im Kofferraumboden versenken, sondern nur an die zweite Sitzreihe hochklappen beziehungsweise, wenn diese bereits umgeklappt ist, an diese anstecken, nachdem man es aus- und in anderer Richtung wieder eingebaut hat. Das ist eine fummelige und schwere, kurzum: spaßbefreite Angelegenheit, und dass die Konstruktion überdies wackelig wirkt, den Entfall der Kofferraumbeleuchtung zur Folge hat und mit 590 Euro Aufpreis das einzig Teure am Lodgy ist, macht es nicht besser.

Die meisten Kunden werden darauf verzichten können, zumal der Lodgy zu den wenigen Autos gehört, die es auf der normalen Rückbank mit drei Kindersitzen nebeneinander aufnehmen können, egal, ob sie mittels Gurt oder Isofix befestigt werden, dessen Haltepunkte übrigens wesentlich besser erreichbar sind als im Renault Scénic. Auffallend ist auch, wie leicht sich Kinder in den Van setzen lassen, was nicht nur an der leicht erhöhten Position liegt, sondern auch daran, dass sie weiter außen sitzen.
Moderner Motor, schwammiges Fahrwerk
Und wie fährt der Lodgy? Überwiegend gut. Unter der Haube mag man zunächst einen alten 1,6-Liter-Motor von Renault vermuten, den man dann als "veraltet, aber bewährt" beschreiben würde, doch schon die ersten paar Hundert Meter rufen das "TCe" auf dem Schlüsselanhänger in Erinnerung: Tatsächlich sorgt ein putzmunteres 1,2-Liter-Triebwerk für Vortrieb, das mit Direkteinspritzung und Turboaufladung auf dem aktuellen Stand der Technik ist. Ob es sich über Jahre bewährt, bleibt abzuwarten, im Testwagen gefällt es jedenfalls mit überraschend leisem, ruhigem Lauf und den 115 PS entsprechender, flotter Durchzugskraft für die normalen Belange im Stadtverkehr. Spontan wüsste man nicht, inwieweit ein 1,2 TSI von VW hier im Vorteil wäre (wohl aber der 1,4 TSI).

Nach 500 Kilometern mit etwa 70 Prozent Stadtverkehr meldet der Bordcomputer 8,7 Liter Verbrauch, was weit von den 6,2 des Datenblatts entfernt ist, nicht aber von jenen Werten, die entsprechende Modelle der Konkurrenz in der Praxis erreichen. Fürs Portemonnaie und für die Umwelt ist das nicht überzeugend, im Wettbewerbsvergleich aber völlig unauffällig, wenn sich schon der kleinere Renault Scénic siebeneinhalb genehmigt hat - als Diesel, wohlgemerkt. Mit leichtem Gasfuß oder größerem Überland-Anteil sollten sich 7-Komma-Werte im Dacia erreichen lassen.

Auf der Autobahn wird es im Lodgy lauter und weniger agil. Nötigenfalls erreicht die Tachonadel die 190er-Marke, 160 lässt sich noch recht entspannt fahren. Recht entspannt nur deshalb, weil die Windgeräusche nach aerodynamischem Feintuning rufen, vor allem aber, weil das Fahrwerk des Lodgy keine ingeniöse Sternstunde ist: Der Wagen wirkt trotz des langen Radstands auch bei niedrigeren Tempi auffallend unruhig und schwammig; eine schöne Kurvenlinie zu fahren, will auch nach zwei Wochen nicht recht gelingen, wozu auch die Lenkung beiträgt, für die Präzision und Rückmeldung ein Fremdwort zu sein scheint. Damit ist denn der auch schon einer der größten Kritikpunkte erwähnt, Renault sollte die Abstimmung überdenken. Unsicher wirkt das Auto dabei übrigens nicht, und das ESP regelt möglichen Übermut oder kritische Ausweichmanöver erstaunlich sanft in geregelte Bahnen.

Das manuelle Getriebe spiegelt mit seinen fünf Fahrstufen den Sparzwang, bietet aber eine annehmbare Abstufung und ordentliche Schaltbarkeit, sieht man einmal vom Rückwärtsgang ab, der meist nach einer zweiten nachdrücklichen Aufforderung verlangt. Vielleicht sind die Zahnräder hier schon von jenen Fahrern geschädigt, die in Gedanken in den sechsten Gang schalten wollen, an dessen gewöhnter Position Dacia aber den R-Gang angesiedelt hat. Die Bremsanlage wirkt unauffällig, wobei im Rahmen diesen Berichts insoweit kein wirklicher Test durchgeführt werden konnte; andere Dacia-Modelle haben in Fachzeitschriften Verbesserungsbedarf in Sachen Bremsweg gezeigt.
Sicherheitsmängel im Großen und Kleinen
Womit die zweite Schwachstelle des Lodgy erreicht ist: Das Thema Sicherheit wird von Dacia nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Zwar ist ESP inzwischen schon wegen der gesetzlichen Pflicht endlich serienmäßig und damit ein wesentlicher Kritikpunkt früherer Dacia-Modelle entfallen, und Assistenzsysteme zu erwarten, wäre vermessen. Dennoch: Vier Airbags sind vier zu wenig, da gibt es nichts zu diskutieren, wenn man sich die Folgen von Unfällen, ob verschuldet oder nicht, vor Augen führt, erst Recht dann, wenn man die als höchstens mittelmäßig zu bezeichnende Performance des Lodgy im EuroNCAP-Crashtest zugrundelegt, wo der Lodgy selbst gegenüber einem in Sachen Plattform ebenfalls veralteten und auf geringen Preis getrimmten Mitbewerber wie dem Seat Toldeo zu viel Abstand lässt.

Sicherheitsmängel gibt es zudem im Detail: So sind Klapptürgriffe im Fall der Fälle eine schlechte Angelegenheit, sollte man Gurtwarner für den Fond nicht als Spielerei abtun oder aus Kostengründen weglassen, vermisst man im Gegensatz zu anderen Dacia-Modellen eine Außentemperaturanzeige, und ist die Betätigung der leisen Hupe im Blinkerhebel schlicht eine Zumutung - und überdies unverständlich, ist das Lenkrad doch wegen der Taste für den Geschwindigkeitsbegrenzer sowieso verkabelt. Über die fehlende Absenkung der Radio-Lautstärke, wenn die Parksensoren am Heck aktiv sind, sind wir im Testbetrieb glücklicherweise immer gerade noch rechtzeitig erschrocken. Im übrigen verrichten sie ihren Dienst trotz Umsetzung als Drei-Kanal-System anstandslos, und man würde sich wünschen, es gäbe sie auch für die Van-typisch völlig uneinsehbare Fahrzeugfront.
Wenig Komfort, gute Verarbeitung
In Sachen Komfort hat der Lodgy naturgemäß wenig zu bieten. Nahezu alle Annehmlichkeiten, die man im Laufe der Jahre als selbstverständlich kennengelernt hat, sucht man einerseits vergebens. Wie erwähnt, gewöhnt man sich daran andererseits schneller als gedacht. Ob nun der Finger auf der Fensterhebertaste bleiben muss oder nicht, die Deckenlampen per Glühbirne oder LED leuchten, die Haltegriffe gedämpft sind oder nicht, das Leder am Lenkrad sich nicht so anfühlt - seis drum. Auch das immer wieder erwähnte Hartplastik am Armaturenbrett günstiger Autos ist alles, nur nicht schlimm, zumal wenn es farblich wie im Lodgy Prestige halbwegs gut kombiniert ist. Allenfalls vermisst haben wir eine Mittelarmlehne vorne, die aber inzwischen zum Serienstandard gehört. Interessant: Während die Heizung - für einen Motor dieser Machart - einen recht kräftigen Eindruck hinterlässt, schaufelt die Klimaanlage dagegen mehr frische als kalte Luft in den Innenraum; im Sommer dürfte sie hilflos überfordert sein. Ausströmer im Fond gibt es nicht.

Wer sich eingehender mit dem Lodgy beschäftigt, überlebt manche Überraschung. Zum Beispiel die, das manche Funktionen wie etwa das Anschalten der Innenbeleuchtung beim fernbedienten Aufschließen, die Zeitschaltung für die Heckscheibenheizung oder die automatische Aktivierung des Heckwischers bei Rückwärtsfahrt auch hier zu finden sind, dass sogar der Nebelscheinwerfer-Schalter beim Licht-Ausschalten automatisch auf Aus geht, wie man das einst im Mercedes W123 kennengelernt hat, der Bordcomputer zwar mit der dämlichen Renault-Symbolik verwirrt, aber sonst gut und exakt arbeitet, oder dass - und eine Wette darauf hätten wir haushoch verloren - die Motorhaube nicht etwa durch einen manuellen Stab offengehalten wird, sondern tatsächlich durch einen Gasdruckdämpfer, ganz so wie in einem Audi.

Auch die Verarbeitung ist viel besser als gedacht. Abgesehen von einem nicht gut eingepassten Teppich im Fahrer-Fußraum findet sich kein wirklicher Kritikpunkt. Die Kunststoffe sind entgratet und ordentlich zusammengesetzt, die Schweißnähte schöner gemacht als in besagtem Scenic, und selbst die Spaltmaße der Karosserie gehen völlig in Ordnung. Obwohl der Testwagen nicht mehr nagelneu ist, sind ihm Klapper-, Knister- oder sonstige Geräusche völlig fremd. Die Türen könnten einen kräftigeren Aufhaltemechanismus vertragen, schließen aber hinreichend satt, die Heckklappe sogar stets im ersten Versuch, was nicht jedes Auto von sich behaupten kann. Auch Details wie etwa die Umsetzung der Tür- und Fensterdichtungen sind auf einem hohen Niveau; hier haben wir an Autos aus deutscher Produktion schon Primitiveres gesehen.
Hervorragendes Navigationssystem – serienmäßig
Schließlich erwähnenswert ist unbedingt noch das Radio-/Navigationssystem: Weil es das ist, was viele Autobauer selbst in der 40.000-Euro-Klasse nicht schaffen, nämlich serienmäßig, und weil es in nahezu jeder Disziplin überzeugt und dem hierzulande hunderttausendfach verbreiteten VW-System RNS 310 / RNS 315 überlegen ist. Details:

Nun ist die Zeit mit dem Dacia wieder vorbei. Nachweinen werden wir ihm nicht, wohl aber nachrufen, dass er sich gut präsentiert hat, dass er bezogen auf das Preis-/Leistungsniveau schlicht spitze ist, und er - in dunklem oder weißem Lack und vielleicht mit etwas größeren Rädern - auch optisch in Ordnung geht. Die Rückkehr ins gewohnte Cockpit mit den satt rastenden Drehreglern hat dem Auto-affinen Autor zugegebenermaßen ein Lächeln auf die Lippen gebracht, aber ein kurzzeitiges. Unter Berücksichtigung der für viele Menschen in diesem Land immer schlechteren wirtschaftlichen Situation kommt Dacia gerade recht - als fraglos reduziertes, aber nicht zu primitives Automobil, als Volkswagen im wahrsten Sinne des Wortes. Kindermund tut Wahrheit kund: "Papa, warum hast Du das große tolle Auto denn heute nicht mehr mitgebracht?"
text  Hanno S. Ritter
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