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Freitag, 29. März 2024
Überfällige Modellpflege mit Umstellung auf E-Antrieb

Smart 2020: Reduce to the max

Daimler hat Smart teilweise nach China verkauft, und vieles sprach dafür, dass die Marke bis zu einer von dort realisierten Neuauflage der Fahrzeuge weiter vor sich hindümpeln werde. Doch nun kündigt der Konzern überraschend das längst überfällige Facelift an: Die "Smarties" werden schicker und digitaler – allerdings längst nicht so konsequent verfolgt wie der Umstieg auf Elektroantrieb.
Daimler
Nur noch elektrisch und
schicker als bisher: Modellpflege für den Smart
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Seit Jahren hat man von Smart nichts Interessantes gehört, die immer gleich gestrickten Studien vorgesetzt bekommen und mehr oder weniger konkrete Ankündigungen für die Zukunft. Zuletzt sorgte Daimler mit der Entscheidung, die Marke zur Hälfte an den chinesischen Geely-Konzern (Volvo, Lotus u.a.) zu verkaufen und die Nachfolgemodelle in China sowohl entwickeln als auch produzieren zu lassen, weithin für Kopfschütteln.

Bis zu diesen Nachfolgern, die für 2022 angekündigt sind, drohe der Marke damit eine Fortsetzung der Hängepartie, hatten wir geschrieben - dabei aber die Rechnung ohne Mercedes gemacht, wo man sich überraschend zu einer Aktualisierung des eigentlich so zukunftsträchtigen Konzepts aufgemacht hat. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Modellpflege, wie man Facelifts bei Daimler nennt ("MOPF"), sondern auch um einen kleinen Relaunch des Markenauftritts und um eine Optimierung der Marketing-Prozesse - beides mehr als überfällig.
Elektroantrieb wird Standard
Fangen wir mit dem Auto an: Smart hat die inzwischen schon fast alte Ankündigung, als erste Automarke überhaupt ausschließlich elektrisch zu werden, nun tatsächlich umgesetzt. Das immer angestrengt wirkende Benzinmotörchen ist Geschichte, das Getriebe ist Geschichte, der Auspuff ist Geschichte, Anlasser/Kat/Lichtmaschine und dergleichen sowieso. Dass Daimler in diesem Zusammenhang über die Anfänge mit Swatch-Mann Nicolas Hayek fabuliert und behauptet, Smart sei schon immer "elektrisch gedacht" gewesen, sich gar zum "elektrischen Original" erklärt - das ist angesichts der jahrelang anders praktizierten Realität peinlich, aber Pflichtprogramm für die PR-Etage.

Für Vortrieb sorgt künftig ausnahmslos ein Elektromotor, der dauerhaft 41 kW und kurzzeitig 60 kW leistet (56 bzw. 82 PS), ein Drehmoment von 160 Newtonmetern entwickelt und den Kleinstwagen je nach Karosserieversion in 4,9 bis 5,2 Sekunden von Null auf 60 km/h beschleunigt. Die Null-Hundert steht mit 11,6-12,7 Sekunden im Datenblatt, und bei 130 km/h ist jeweils Schluss. Weitere Motorversionen gibt es nicht, und auch beim Akku gibt es keine Optionen.
Kleiner Akku — kleine Reichweite
Bestehend aus drei Hochvolt-Modulen und insgesamt 96 Zellen kommt die von der Daimler-eigenen Deutschen Accumotive zugelieferte Lithium-Ionen-Batterie auf eine Kapazität von 17,6 kWh. Die Reichweite beträgt 145 bis 159 Kilometer nach der Norm - der alten NEFZ-Norm wohlgemerkt, die optimistischer ist als die neue WLTP-Vorgabe. Ob man das als spärlich-nervig ansieht oder als "großzügig" und dem "Vielfachen der durchschnittlichen Alltagsfahrleistung entsprechend" wie der Hersteller, ist einerseits Ansichtssache und andererseits natürlich stark abhängig vom persönlichen Fahrprofil. Zum Vergleich: Die kommenden E-Minis aus dem Hause Volkswagen (Up, Citigo, Mii) werden mehr als die doppelte Kapazität aufweisen.

Aufgeladen wird die Smart-Batterie bestenfalls in 40 Minuten (von 10 auf 80 Prozent), wenn optional der 22kW-Bordlader bestellt wird. Die Ladezeiten an der heimischen Steckdose nennt Smart bisher nicht explizit, sie dürften aber jedenfalls im Vergleich mit großen E-Autos genauso überschaubar sein wie die Akku-Kapazität.

Neue Front, neue Leuchten, mehr Differenzierung
Optisch geben sich die mit dem von Mercedes-bekannten Namenszusatz "EQ" versehenen Elektro-Modelle an den klassischen Insignien eines Facelifts zu erkennen: So hat Smart die Frontpartie deutlich aufgefrischt. Der kräftig vergrößerte Kühlergrill ist tiefer positioniert und normalerweise in Wagenfarbe lackiert, was dem Wägelchen einen frischen Auftritt verschafft. Die fimschigen Zusatzleuchten sind ebenso Geschichte wie der untere Grill, und bei den Scheinwerfern hält endlich Voll-LED-Technik Einzug - allerdings nur optional. Anstelle des Markenlogos im Grill tragen die neuen Modelle den "smart"-Schriftzug prominent auf der Motor-, äh vorderen Haube.

Am Heck beschränken sich die Änderungen weitgehend auf deutlich modernisierte Heckleuchten mit Voll-LED-Technik, wobei das Marketing auch hier den Fehler gemacht hat, diese nur gegen Aufpreis anzubieten und damit nicht jeden neuen Smart auf der Straße auch smart aussehen zu lassen. Spiegelblinker oder aufgehübschte Türgriffe sucht man vergebens, neue Räderdesigns und Außenfarben sorgen indes insgesamt für frische Akzente.

Fortwo und Forfour differenzieren sich künftig über den Kühlergrill. Der Viertürer erhält eine konventioneller gezeichnete Ausführung, die Smart als "A-shape" bezeichnet, während der klassische Zweitürer beim "bekannt freundlichen Gesicht" (V-shape) bleibt, wie Daimler sich ausdrückt. Die unterschiedliche Ausführung am Heck - Viertürer mit Kennzeichen in der Schürze und zusätzlichem Logo - bleibt unangetastet.
Interieur bleibt hinter den Möglichkeiten
Auch innen zeigen sich die EQ-Modelle aufgefrischt. So kommt eine neu gestaltete Mittelkonsole zum Einsatz. Anstelle der versteckten seitlichen Schublade gibt es nun vor dem Wählhebel ein großes Ablagefach, das mit einem Rollo verschlossen werden kann. Hier finden etwa große Smartphones Platz, wahlweise passen auch zwei Kaffeebecher dank eines entnehmbaren Doppelcupholders in die neue Ablage.

Auffälligste Neuerung aber vor allem das deutlich vergrößerte Media-System "connect" mit 8-Zoll-Touchscreen. Die neu entwickelte Infotainment-Generation setze rein auf das nahtlose Zusammenspiel mit den kundeneigenen Mobiltelefonen und deren Rechenleistung, erklärt Smart, lässt aber offen, ob und ggf. inwieweit das über die Integration von Apple CarPlay und Android Auto hinausgeht.

Insgesamt sieht das EQ-Interieur nur leicht besser aus als bisher. Der primitive Tacho, das aufgesetzte Zusatzinstrument links vom Lenkrad, die veraltete Klimabedieneinheit und vor allem der lange, nun überflüssige Wählhebel lassen den Smart nicht halb so smart wirken wie es sein könnte. Jedes günstige Smartphone ist cleaner und moderner gestaltet.
Schönere App mit neuen Funktionen
Gleichzeitig mit dem Facelift hat Smart auch den Markenauftritt auf ein neues, minimalistischeres und vor allem einheitliches Design umgestellt. Dies betrifft beispielsweise die Website, aber auch die "EQ control App". Dieser Fernzugriff vom Handy aufs Auto bietet neben besserer Bedienbarkeit und schnellerer Performance als bisher auch zahlreiche zusätzliche Funktionen, die zum Teil situationsbedingt und dank künstlicher Intelligenz sogar vorausschauend arbeiten.

Neu ist auch eine App-Integration in die Smartphone-Widgets und eine Anwendungserweiterung für die Apple Watch. So kann nun beispielsweise direkt über einen Fingertipp am Handgelenk die Vorklimatisierung im Auto gestartet werden. Beispiele für neue App-Funktionen sind etwa eine Geofence-Überwachung des Fahrzeugstandorts, die im Falle eines Diebstahls selbst die Anzeige bei der Polizei unterstützt.

"Grenzenlos digital" sei das alles, erklärt Smart. In der Tat kann die Marke Funktionen bieten, die man so schon einmal gehört hat, anderswo aber noch nicht bekommt. Dazu gehört die Möglichkeit, etwa im Möbelhaus Barcodes an Produkten zu scannen, um zu checken, ob und ggf. wie sie in den Kofferraum passen, aber auch eine ready-to-share-Anwendung. Hier kann der Eigner anderen Personen Zugangsrechte zu seinem Fahrzeug einräumen - und in Deutschland dafür auf Wunsch sogar einen Minutenpreis ansetzen, der direkt per App abgerechnet wird. Hier passt der vielstrapazierte Begriff von Innovation einmal.
Verschlankte Angebotsstruktur
Zum neuen Marketing gehört auch ein verschlanktes Modellangebot. Dies betrifft nicht nur den Wegfall verschiedener Leistungsstufen, sondern auch insgesamt eine fast schon radikal reduzierte Angebotsstruktur. Anstelle der 45seitigen Preisliste gibt es das Auto künftig weiter in drei Ausstattungslinien "passion", "pulse" und "prime". Dazu lässt sich jeweils nur noch eines von drei Ausstattungspaketen wählen. Im dritten Schritt respektive Klick wird die Farbe ausgesucht, fertig ist das Auto. Dieses Konzept dürfte nicht die Ansprüche von Auto-Enthusiasten erfüllen, wohl aber der Mehrheit gefallen - und spart ganz nebenbei auch dem Hersteller Kosten.

Die neue Struktur geht dabei allerdings nicht mit einer grundsätzlich aufgewerteten Ausstattung einher. Details stehen zwar noch aus, aber Multimedia-System, LED-Technik, Nebelscheinwerfer oder auch nur ein Ablagenetz an der Mittelkonsole werden extra kosten. Auch bei den noch nicht konkret vorliegenden Fahrzeugpreisen bleibt sich Smart treu und versucht weiterhin Premium-Tarife durchzusetzen. All die Jahre hat das anders als etwa bei Mini nicht recht funktioniert, doch nun, da das Produkt und die Marke endlich frischer daherkommen, könnte dies dem Wägelchen auf seine alten Tage in Deutschland noch einen zweiten Frühling bescheren - genau genommen vielleicht den ersten.

Es wird spannend zu beobachten sein, ob das Ausmaß der Änderungen reichen wird, als cool wahrgenommen zu werden. "Reduce to the max": So könnte man das Update umschreiben - doch dazu, diesen seinerzeit wieder abgeschafften Slogan zu reaktivieren, hat der Mut dann doch nicht gereicht. Ob die Chinesen Auto & Auftritt 2022 besser schaffen?
text  Hanno S. Ritter
IM KONTEXT: DER BLICK INS WEB
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