Erste Musterfeststellungsklage in Deutschland im November 2018
Verbraucherschützer und ADAC nehmen VW ins Visier
Kurz nach dem Start des Milliarden-Prozesses im Kapitalmarktrecht sieht sich Volkswagen im Abgasskandal mit einer weiteren gewichtigen juristischen
Auseinandersetzung konfrontiert: Die Verbraucherzentrale wird im November die erste Musterfeststellungsklage in Deutschland einreichen. Unterstützung
kommt vom ADAC, die Anwälte sind Profis.
Millionenfach hat Volkswagen Autos mit unzulässiger Abschalteinrichtung beim Abgas auch in Deutschland verkauft, die Kunden und den Staat damit
hinters Licht geführt, von den Auswirkungen auf die Umwelt ganz zu schweigen. Während der Autobauer dafür in den USA über 20 Milliarden Euro
zahlen musste, ist er in Deutschland bisher nahezu verschont geblieben.
Dies geht einerseits zurück auf die lasche Behandlung durch die Behörden, andererseits auf die Kunden. Nur rund 24.000 von ihnen haben eigenständig
Klageeingereicht. Laut VW sind bisher 6.100 Urteile ergangen. Glaubt man dem Autobauer, ist er zumeist als Sieger vom Platz gegangen. Die Anwälte
erzählen die Geschichte andersherum und verweisen auf diverse, zum Teil aufsehenerregende Urteile zugunsten der VW-Eigner. In vielen Fällen hat
Volkswagen wohl auch großzügige Vergleichsangebote inklusive Schweigepflichtsvereinbarung gemacht, um Urteile abzuwenden.
Nun aber kommt noch einmal Bewegung in die Sache, konkret durch die sogenannte Musterfeststellungsklage, für die der Gesetzgeber nicht zuletzt vor dem
VW-Hintergrund in diesem Jahr den Weg geebnet hatte. Die entsprechende Regelung, die inbesondere das Kostenrisiko für nicht rechtsschutzversicherte
Geschädigte senkt, tritt am 1. November in Kraft, und gleichtägig soll die erste dieser Art von Klage auch bei Gericht eingereicht werden. Kläger ist
der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).
Der vzbv will gerichtlich feststellen lassen, dass der Volkswagen-Konzern durch Einsatz von Manipulationssoftware vorsätzlich sittenwidrig geschädigt
und betrogen hat. Die betroffenen Fahrzeuge hätten nach Einschätzung der Kläger nicht in Verkehr gebracht werden dürfen. Der Konzern schulde den
Käufern deswegen grundsätzlich Schadenersatz. Geklärt werden soll in der Folge, ob der Kaufpreis bei Fahrzeugrückgabe in voller Höhe ersetzt werden
muss oder ob eine Nutzungsentschädigung abzuziehen ist beziehungsweise ob der Hersteller Schadenersatz zu zahlen hat.
Zuständig für die Klage ist zunächst das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig, Berufungsinstanz der BGH. Der Musterfeststellungsklage kostenlos anschließen können
sich Käufer von Diesel-Fahrzeugen der Marken Volkswagen, Audi, Skoda und Seat mit Motoren des Typs EA 189 (1,2, 1,6, 2,0 TDI), für die ein Rückruf
ausgesprochen wurde. Der Kauf muss nach dem 1. November 2008 erfolgt sein. Verbraucher, die sich der Musterklage anschließen wollen, können sich in
ein Register eintragen, welches das Bundesamt der Justiz nicht vor Mitte November eröffnen wird. Bis zur ersten mündlichen Verhandlung kann man sich
dort auch wieder austragen.
Die Klage ist zulässig, wenn sich mindestens 50 betroffene Verbraucher wirksam eingetragen haben - reine Formsache. Nach einem positiven Feststellungsurteil
müssen Verbraucher ihre Schadenersatzansprüche dann individuell durchsetzen, wenn nicht VW dann mutmaßlich zur Vermeidung dessen freiwillig leistet.
Handlungsbedarf besteht für interessierte Verbraucher erst, wenn das Klageregister eröffnet wird. Sollte die Klage nicht erfolgreich sein, sind im
Klageregister eingetragene Personen auch daran gebunden, können also nicht mehr individuell klagen. Im Hinblick auf die Verjährungsfristen ist dies aber
eher ein theoretisches Problem.
Das Verfahren der Verbraucherschützer wird vom ADAC unterstützt. "Für den ADAC ist es eine Selbstverständlichkeit, das neue Klageinstrument im Sinne
seiner Mitglieder und der Verbraucher auch in der Praxis zu fördern und voranzutreiben. Die gebündelten Kräfte zweier starker Verbraucherschutzorganisationen
sind dabei zielführender als zwei Klagen. Deswegen haben wir uns darauf verständigt, die erste Musterfeststellungsklage in Deutschland gemeinsam anzugehen
und so der Sache der Verbraucher zu dienen", sagte ADAC-Präsident Dr. August Markl heute in der Bundespressekonferenz in Berlin.
Die Klage führen wird, so das Ergebnis einer nicht-öffentlichen Ausschreibung, die eigens neugegründete Kanzlei R|U|S|S, ein Zusammenschluss der Rechtsanwälte
Dr. Stoll & Sauer und Rogert & Ulbrich. Beide sind im Abgasskandal mit jeweils mehreren Tausend Klagen mit Abstand führend in Deutschland, klagen außerdem
gegen andere Autobauer und haben tausendfache Erfahrung in Massenverfahren. Damit stütze sich die Klage auf die bestmögliche Expertise und Erfahrung,
sagt vzbv-Vorstand Klaus Müller.
Rechtsanwalt Dr. Ralf Stoll bezeichnete die neu geschaffenen Form einer Art Sammelklage als historische Möglichkeit, einen der größten Wirtschaftsskandale in
einem Sammelverfahren aufzuarbeiten und den Verbrauchern zu ihrem Recht zu verhelfen. "Wir sind zuversichtlich, das Verfahren gegen VW zu gewinnen und somit
einen großen Beitrag zum Verbraucherschutz in Deutschland leisten zu können." Sein Kollege Prof. Dr. Marco Rogert erklärte trocken: "Pionierarbeit zu
leisten erfordert Mut und Entschlossenheit. Von beidem ist reichlich vorhanden." Man werde alles daran setzen, die Sache für die Verbraucher zum Erfolg
zu führen.
Ein VW-Sprecher erklärte, das Instrument der Musterfeststellungsklage ändere nichts an der Position des Unternehmens. "Es gibt keine Rechtsgrundlage für
kundenseitige Klagen im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik in Deutschland." Nicht einmal die verharmlosende Bezeichnung hat der Konzern in der
Kommunikation abgeschafft.