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Freitag, 19. April 2024
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Französischer Kleinstwagen mit Vierzylinder-Antrieb im Fahrbericht

Unterwegs im Renault Twingo: Aufgefrischt gealtert

Autokiste
Die neue Front und die
Farbe stehen dem renault Twingo gut
Mit neuem Antlitz geht der Renault Twingo auf Kundenfang. Im Redaktionsbetrieb gibt sich der französische Kleinstwagen uneitel, erfreut mit gutem Platzangebot, ordentlicher Verarbeitung und vier Zylindern – und kann sein Alter doch nicht verbergen. Der Konfigurator von Renault kann manches, was Konfiguratoren deutscher Hersteller nicht können, aber er hilft auch nicht weiter. Wie zum Kuckuck heißt die Farbe des Twingo? Der Autor hat ihn als rosa bezeichnet, wohl wissend, dass "purple", lila, pink oder violett wohl treffender wären - in HTML wäre es ungefähr "#ff1493", deeppink. Im Konfigurator aber findet sich nur ein "Himbeer-Rot", was weder vom Wording noch von der Abbildung passen mag. Wie auch immer: Der Twingo ist also rosa-lila-pink, und auch als Mann darf man sagen: das steht ihm - hervorragend.

Der Twingo ist das erste Modell von Renault, das das neue "Familiengesicht" tragen darf - eine durchaus sympathische Vorgehensweise, führen die Hersteller solche Neuerungen doch üblicherweise eher von top to bottom ein. Der von Designchef Laurens van den Acker entworfene Look mit einem schwarzen, geschwungenen Band als Kühlergrill und der prominenten Integration des Marken-Rhombus darf als frisch und markant gelten, und bleibt dabei einigermaßen unaufdringlich. Ganz nebenbei, aber durchaus beabsichtigt im Sinne stärkerer Präferenz beim weiblichen Geschlecht nähert sich der zuletzt oft und nicht zu unrecht als langweilig kritisierte Twingo II wieder etwas dem knuddeligen Twingo I mit seinem Kindchenschema an.

Beim Twingo beschränkt sich das Facelift aber nicht auf den Grill und die Hauptscheinwerfer, vielmehr hat der kleine Franzose eine gänzlich neue Front bekommen. Bestimmendes Merkmal sind die prominenten Zusatzscheinwerfer, die ein bisschen an Škoda Yeti, Nissan Juke oder Fiat 500 erinnern.

Doch was gut aussieht und gut gemeint ist, ist nicht gut umgesetzt. Die Zusatzscheinwerfer integrieren serienmäßig nämlich Standlicht und Nebelleuchten, aber kein Tagfahrlicht. Das ist für ältere Modelle - und als solches gilt das Twingo-Facelift - nicht vorgeschrieben, und beim Twingo entsprechend auch überhaupt nicht umgesetzt - ein Ärgernis in Sachen Sicherheit, aber auch in punkto Design: Der Fiat 500 zeigt, wie chic und dabei unaufdringlich man so etwas lösen kann.

Zwar kann man den gewünschten Effekt einigermaßen durch die erstaunlicherweise mögliche Kombination von Stand- und Nebellicht erreichen, doch das ist weder erlaubt noch praktisch, weil nach jedem Motorstopp erst manuell das Licht "gelöscht" werden muss. Wer so eine lustlose Umsetzung abnickt, mag vordergründig ein guter Controller sein, ein car guy oder auch nur das, was Renault einst so schön mit Créateur d'Automobiles auszudrücken versuchte, ist er nicht.

Die Änderungen am Heck fallen weniger ins Auge, sind aber dennoch interessant: Geteilte und damit teure Rückleuchten sind eine Besonderheit in der Kleinstwagen-Klasse, und dass Renault hier je zwei Rückfahr- und Kennzeichenleuchten spendiert, ist ebenso löblich wie überraschend angesichts der Lustlosigkeit in Sachen Tagfahrlicht. Im übrigen bringt das Facelift keine Änderungen an der Karosserie mit sich - der Twingo ist ein kleines und auch klein wirkendes Auto geblieben. Geblieben sind auch die merkwürdigen Türgriffe, die weder schön noch sicher sind, denen man aber zugute halten muss, dass sie sich in der Praxis als nicht ganz so unpraktisch erweisen wie sie aussehen.

Von den äußeren Werten nach innen: Typisch Twingo ist das prima Konzept der Rückbank, die (außer im Basismodell) aus zwei Einzelsitzen besteht. Sie lassen sich unabhängig voneinander nicht nur umlegen, sondern auch wickeln, also komplett senkrecht hinter die Vordersitze stellen. Der Kofferraum wächst dann von beschaulichen 165 auf satte 960 Liter an. Zudem können die Sitze auch um 22 Zentimeter längs verschoben werden. So lässt sich zwischen mehr Kofferraum (285 Liter) oder mehr Beinfreiheit variieren, und letztere ist so üppig, dass wir ohne nachgemessen zu haben guten Gewissens behaupten: keiner in dieser Klasse bietet mehr. Dass der Twingo stets ein Viersitzer ist, dürfte praktisch kaum ein Nachteil sein. Auch die Frontpassagiere profitieren im Twingo mit seinem One-Box-Design von einem guten Platzangebot und mehr noch von einem subjektiv guten Raumgefühl.

In Sachen Cockpit sollte man dagegen nur Besonderheiten, aber keinen Mehrwert erwarten: Die zentrale Instrumentierung ist gewöhnungsbedürftig, aber nach ein paar Tagen auch gewöhnungsfähig. Ein Digital-Tacho allerdings ist auch geschätzte 30 Jahre nach seiner ersten Verbreitung nicht annähernd so intuitiv abzulesen wie herkömmliche Zeigervarianten; Ähnliches gilt für den nur segmentweise digital dargestellten Tankinhalt. Dass es ein Kühlwasserthermometer nicht gibt, ist Klassenstandard. Das Display ist vergleichsweise groß ausgefallen, weil es auch die Infos von Radio und Telefon anzeigt. Dessen Koppelung gelingt nur nach einem Blick in die Bedienungsanleitung, dann aber problemlos. Merkwürdig, dass der Twingo bei eingehenden Anrufen den Klingelton nur einmal abspielt. Die Sprachqualität ist recht bescheiden.

Typisch Renault ist der Bediensatellit rechts am Lenkrad, der allerdings im Twingo nicht ganz so überladen ist wie etwa im Scénic. Dennoch: Praktisch ist das nicht, ebenso wie die unbeleuchteten Tempomat-Tasten auf dem Lenkrad. Ebenfalls typisch Renault: Der Tempomat muss per separat angeordnetem Kippschalter aktiviert werden, beinhaltet aber auch einen Geschwindigkeitsbegrenzer, der manchmal hilfreich sein kann. Der Bordcomputer nervt mit seiner missverständlichen Darstellung, das Armaturenbrett überrascht ob seiner kunstbelederten Oberfläche, und der Lichtschalter im Lenkstockhebel muss nach wie vor als Primitiv-Lösung gelten.

Der Dreh am Zündschlüssel erweckt einen Benzinmotor zum Leben, der noch der in dieser Klasse aussterbenden Vierzylinder-Art angehört. Gegenüber dem neuen Dreizylinder in VW Up, Škoda Citigo und Seat Mii zahlt sich das durch bessere Umgangsformen aus; gegenüber dem neuen Ford-Dreizylinder dagegen ist der Renault nicht im Vorteil, trotz mehr Zylindern und mehr Hubraum. 1,149 Liter sind es - in der Logik des Renault-Marketings zu 1,2 gerundet -, doch für die 75 PS, die das Maschinchen bereitstellt, wirkt es überraschend oft angestrengt, und das nicht nur bei hohen Tempi, sondern auch beim Anfahren und im Stadtverkehr. Der an sich logische Griff zum 102-PS-Modell aber lohnt schon wegen des hohen Aufpreises und des erschwerten Wiederverkaufs nicht - in neun von zehn Twingo in Deutschland arbeitet das 75-PS-Aggregat.

Der subjektive Eindruck mag allerdings objektiv täuschen: Der Škoda Citigo mit 60 PS wirkte nicht merklich langsamer als dieser Twingo, ist es laut Datenblatt aber. Wer es darauf anlegt, kann den kleinen Franzosen mit hohen Drehzahlen einigermaßen flott bewegen und bis auf Tacho 185 (offiziell 173 km/h) beschleunigen; dass das weder von der Straßenlage noch vom Geräusch vergnügungssteuerpflichtig ist, versteht sich von selbst. Mit Richtgeschwindigkeit aber ist der Twingo auch auf längeren Etappen ein im Vergleich mit seinesgleichen angenehmer Begleiter, wozu auch die Sitze beitragen, die bequemer sind als sie aussehen.

5,1 Liter verbraucht der Twingo nach der Norm, und dass er sie in der Praxis eher nicht erreicht, hat er mit allen Konkurrenten gemeinsam. 6,3 Liter waren es bei uns, im gemischten Betrieb aus Stadtverkehr und Autobahn. Das ist natürlich viel zu viel für einen solchen Winzling, aber im Vergleich durchaus üblich: Der modernere Citigo kam auf 5,7 Liter im Stadt- und Überlandbetrieb. Auch unter diesem Aspekt betrachtet ist es schade, dass die Vierzylinder bei den Minis aussterben. Ein Start-Stopp-System bietet Renault auch opotional nicht an, die Sparmaßnahmen beschränken sich auf Thermomanagement und rollwiderstandsreduzierte Reifen.

Das manuelle Fünfganggetriebe schaltet okay, aber nicht butterweich. Lenkung und Federung arbeiten unauffällig, die Bremsanlage machte trotz hinterer Trommelbremsen auch auf der Autobahn einen standfesten Eindruck. Keinen Grund zur Beanstandung gab die Verarbeitung des Testwagens, die in manchen Details sogar besser wirkte als beim Scénic. Allzu hochwertige Materialien, ein Gefühl von Geborgenheit oder Premium-Ansätze sollte man dabei freilich nicht erwarten; der Twingo macht aus seinem Alter und seiner Preisklasse keinen Hehl. Dass Kleinstwagen von seinem Schlage viel besser als früher sind, wie oft zu lesen, ist ebenso unüberraschend wie zutreffend, aber der Abstand zu Kleinwagen und erst Recht zur Kompaktklasse ist dabei nicht kleiner geworden.

Der Familienausflug scheiterte wie im Scénic daran, dass die Isofix-Befestigungen zwar per Fähnchen am Sitz angekündigt, de facto aber wohl nur nach Aufschneiden der Polsterung zu finden sind.

9.990 Euro kostet der Twingo in der Basis; das gefahrene Modell "Dynamique" steht ab 12.700 Euro in der Preisliste. Inbegriffen sind hier u.a. manuelle Klimaanlage, Aluräder, Bluetooth, Radio, Privacy Glass, USB- und AUX-in-Buchse und fernbediente Zentralverriegelung. Das Optionsprogramm ist recht klein und lässt sogar Navi, Sitzheizung oder Parksensoren missen. In beiden Fällen nicht inbegriffen sind Kopfairbags und ESP - Sicherheit hat Renault aus Kostengründen in dieser besonders preissensiblen Klasse ärgerlicherweise klein geschrieben. 680 Euro sollte man also extra kalkulieren, womit der Twingo dann nicht mehr zu den billigsten Modellen zählt.

Wer ihn trotzdem kauft, tut es vielleicht, weil er so nett guckt, weil er als einer von wenigen endlich wieder mit einem elektrischen Faltschiebedach zu haben ist oder weil die Farbe so anziehend ist. Ach ja, sie heißt doch Himbeer-Rot, wie sich herausstellt. Wer einen wirklichen modernen Twingo will, muss sich dagegen noch geschätzte anderthalb Jahre gedulden, bis die dritte Generation erscheint, die nicht nur in Sachen Design völlig neue Wege gehen wird, sondern auch konzeptionell, entsteht sie doch gemeinsam mit dem nächsten Smart Fortwo.

Die Autokiste-Empfehlung: Wer mit dem Twingo liebäugelt, sollte erwägen, stattdessen den neuen Renault Clio zu kaufen. Der ist wesentlich moderner, schicker, sicherer, erwachsener, bietet fünf statt drei Türen - und dürfte letztlich nicht so viel teurer werden.
text  Hanno S. Ritter
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